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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang
Autoren: Sinje Beck
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Hals, wenn er sich auf den Rücken dreht, und hoffentlich stiehlt es sich nicht klappernd davon, sobald er mit offenem Mund auf dem Bauch liegt. Hingegen: Was geht’s mich an.
    Man könnte meinen, der Alte hätte gewusst, dass ich mich kümmern würde, kippt hier einfach in den Tiefschlaf und das, wo es nachts schon empfindlich kalt wird. Es ist zwar erst Ende August, doch der Hochsommer ist vorüber. Von unten her wird mir feucht um den Hintern. Einerseits sind dafür die vom Weiherwasser klamme Hose und andererseits die Abkühlung des Waldbodens verantwortlich. Des Alten Knochen dürften auch auskühlen, wenn ich ihm keine Decke bringe. In den Bauwagen lasse ich ihn nicht, beschließe ich, während ich mich ihm nähere, um ihm seinen Filzmantel überzuwerfen. Jesses, der Kerl hat länger kein Wasser, vielmehr keine Seife gesehen. Künstler. Die Kunst des derben Überlebens scheint sein Gebiet zu sein. Nun ja, darin wären wir uns ähnlich. Abgesehen davon, dass es mir bisher immer gelungen ist, einigermaßen anständig zu riechen. Von meiner letzten Episode als Duftstofftester, Aufpasser und Burglakai einmal abgesehen. Eine aufregende kurzfristige Beschäftigung im weit gesteckten Feld der Gastronomie: Mädchen für alles auf einer Jugendburg an der Sieg. Immerhin war die Bezahlung okay. Gerne wäre ich länger geblieben.
     
    Zur Zeit bin ich frei. Freiheit sei der Zustand, in dem man nichts mehr zu verlieren habe, heißt es. Mit kleinen Einschränkungen trifft das auch auf mich zu. Als Exblechschlosser und umgeschulter erfolgloser Werbekaufmann stehe ich seit einigen Jahren dem Arbeitsmarkt sehr frei zur Verfügung. So frei, dass es bisher keinem Vermittler gelungen ist, mich in irgendein Profil der, da haben wir es wieder: freien Wirtschaft, zu pressen. Mal bin ich zu alt (nein, finde ich nicht), mal zu unerfahren (das kann ich nun wirklich nicht bestätigen, entschieden nein), mal passe ich nicht in die Firmenphilosophie (so was sülzen vornehmlich Werbeagenturen in ihren Absagen) und ein einziges Mal war ich überqualifiziert. Das betraf eine Stelle als Müllsortierer. Ich wusste nicht, ob sich da jemand lustig macht. Wahrscheinlich wollten die eine Kraft, die sich für drei Euro fuffzig pro Stunde die Hände schmutzig macht. Man verstehe mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen ehrliche Arbeit und ich hätte diesen Job auch angenommen, doch den sauberen Müllbossen war ich wohl zu teuer. Das vermutete mein Vermittler Schmidt. Den traf ich neulich wieder. Der stand doch tatsächlich in der Siegener Unterstadt und verteilte Handzettel einer Versicherungsagentur. Er wollte von mir nicht erkannt werden, vertiefte sich in die Kleiderständer eines Dessous-Ladens für die reifere Frau, begutachtete hautfarbene Miederwaren, die volumenmäßig an ausgehöhlte Schweinehälften herankamen.
    Ist doch nichts, weshalb man sich schämen müsste, wenn man jede Arbeit verrichtet, seien es auch Versicherungen. Sicher, das ist schon hart an der Grenze, je nach Geschäftsgebaren der Typen. Ich war gerade achtzehn Jahre alt, da schwätzte mir so ein geschniegelter Kerl ein Schutzpaket auf. Darin eine Haftpflicht für meine Kinder, die alle nie geboren wurden, eine Familienrechtsschutzversicherung (die im Scheidungsfall nicht eintritt), eine Unfall- und Risikolebensversicherung über vier Millionen Mark und, fast zu vernachlässigen, Anteile eines asiatischen Aktienfonds. In dem Jahr sollte die japanische Börse das Rennen machen. Der Versicherungsschlumpf schimpfte sich auch Anlageberater. Ich hätte damals einen Ablageberater gebraucht. Ich war völlig übernächtigt und zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich sehr verkatert war bei der Unterzeichnung der Verträge. Was mich letztlich wohl dazu bewogen hat, überhaupt dem Manne zuzuhören, war die Aussicht auf eine kostengünstige Sterbeversicherung, Stiftung Warentest: Sehr gut. Hundeelend war mir. Wer sich mal mit Apfelkorn betrunken hat, kann das nachempfinden.
    Meine Mutter hat das dann alles wieder gekündigt, nicht ohne mich einen dummen, unselbstständigen Deppen zu nennen. Würde ich noch mit ihr reden, dann würde sie mir die Versicherungs-Affäre heute noch aufs Brot schmieren.
    Brot schmieren – ich fühle mich schlecht ernährt. Auch meinem Magen muss die Freiheit schmecken. Er weiß die fett- und kalorienarme Kost noch nicht zu schätzen. Es gibt heute nichts mehr. Von Luft und Liebe leben, fällt mir ein idiotischer Spruch ein. Die Luft muss reichen.
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