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Totenhaut

Titel: Totenhaut
Autoren: Chris Simms
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darüber. »Ich habe hinten noch Eis. Das hilft gegen die Schwellung. Sie sehen aus, als könnten Sie auch einen Kaffee gut gebrauchen. Ich bin übrigens Dawn.«
    »Fiona. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.«
    Das Büro sah genauso heruntergekommen aus wie der Rest des Motels, aber die Sessel waren weich und der Kaffee heiß. Sie setzte sich, und ihr Vorsatz, zum Auto zurückzukehren, geriet umgehend ins Wanken. Sie nahm ihre Handtasche, holte eine Packung Zigaretten heraus und bot sie Dawn an.
    »Danke«, sagte die und zog eine heraus.
    Fiona hielt ihr das Feuerzeug hin, zündete sich dann ihre eigene Zigarette an, inhalierte tief und lehnte sich zurück.
    Dawn wuselte im Zimmer herum, wickelte ein paar Eiswürfel in ein Verbandtuch und reichte es Fiona. Diese betrachtete sie und dachte, dass ihre Anteilnahme über bloßes Mitgefühl hinausging. »Ihnen ist das auch schon passiert, stimmt’s?«
    Wieder diese Augen, dieser Ausdruck ständiger Furcht, mit dem sie sich bewegten. »Woran haben Sie das erkannt?«
    Fiona war überrascht, wie schnell die Niedergeschlagenheit sich bei Dawn ihren Weg gebahnt hatte. Wahrscheinlich war sie es gewohnt, dass andere ihre brüchige Fassade durchschauten und die Verwundbarkeit dahinter entdeckten. »An Ihrer Wärme. Man erkennt das eben, wenn man … na, Sie wissen schon.«
    »Dasselbe durchgemacht hat. Als Überlebende. Das ist das richtige Wort: Überlebende.« Aber aus ihrem Mund klang es irgendwie nicht echt. Dawn setzte sich. »Ich habe einiges durchgemacht. Aber früher, heute nicht mehr. Jetzt bin ich mit einem guten Menschen zusammen.« Sie sagte das mit mehr als Nachdruck: Es war Trotz.
    »Das freut mich für Sie.«
    »Und Sie? Wie lang tut er Ihnen das schon an?«
    Fiona sah weg, nahm die Eispackung von der Stirn und schichtete die Würfel um. »Während der letzten Jahre immer mal wieder.«
    »Immer mal wieder? Aber immer öfter?«
    Fiona presste die Eispackung wieder an die Stirn und schloss die Augen. Immer öfter? Sie konnte es wirklich nicht sagen. Ihre jüngste Vergangenheit war zu einem einzigen langen Albtraum geronnen. »Er steht wahnsinnig unter Druck in der Arbeit. Hinterher tut’s ihm immer leid.«
    »Sie meinen, wenn er wieder nüchtern ist?«
    Fiona war verblüfft, dass Dawn den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Sie schlug die Augen auf.
    Dawn beugte sich vor. Als sie sprach, bebte ihre Stimme vor Wut. »Am nächsten Morgen tut es ihnen immer leid. Aber das dauert nie lang. Nein, die Abstände werden kürzer und kürzer. Das Ganze ist ein Zyklus, das müssen Sie doch sehen. Ein Zyklus, der immer schneller abläuft. Sie müssen da raus.«
    Fiona schloss die Augen wieder, aber die Tränen liefen ihr bereits über die Wangen. »Sie wissen, dass das nicht so leicht ist. Wir sind jetzt fast zwanzig Jahre verheiratet. Ich weiß nicht, wo ich sonst hin soll.« Sie schickte sich an aufzustehen. »Ja, und jetzt sollte ich wirklich heimfahren. Jetzt schläft er sicher schon. Die Gefahr ist vorbei.«
    »Er kommt nicht zurück«, sagte Dawn leise.
    »Wie bitte?«, fragte Fiona, schon im Aufstehen.
    »Der Mann, den Sie geheiratet haben. Sie hoffen doch, dass er eines Tages zurückkehrt, oder?«
    Fiona beschwor das Bild ihres Mannes herauf, so wie er vor vielen Jahren gewesen war. Schlank, dichtes Haar. Bauingenieur. Der Spezialist für Kosten- und Vertragswesen, der es in einer Baufirma einmal ganz nach oben bringen wollte. Und sie stellte ihn sich vor, wie er jetzt war: Übergewichtig, zur Glatze neigend, das Gesicht vom Alkohol verwüstet, die Kraft, die ihr einst so viel Sicherheit vermittelt hatte und die er jetzt gegen sie wendete.
    »Es gibt ihn nicht mehr«, fuhr Dawn fort und legte Fiona eine Hand auf die Schulter. »Gehen Sie heute Abend nicht zurück. Bleiben Sie hier – es gibt jede Menge freie Zimmer.«
    Fiona gab ein hohles Lachen von sich. »Ich habe kein Geld.«
    »Scheiß aufs Geld.«
    »Ich kann nicht zulassen, dass Sie meinetwegen Ihre Stelle riskieren. Was ist, wenn Ihr Manager dahinterkommt?«
    Dawn lächelte. »Ich bin der Nachtmanager. Wenn Sie bis sieben Uhr weg sind, gibt es überhaupt kein Problem. Dann kommt nämlich der Tagmanager.«
    Fiona sah sich unschlüssig im Zimmer um. »Wem gehört das hier eigentlich?«
    »Irgendeinem Konzern in London. Hab nie einen von denen gesehen. Sie haben es für die Commonwealth-Spiele letzten Sommer gebaut, und seither gammelt es langsam vor sich hin. Bitte gehen Sie nicht zu ihm zurück. Sie würden
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