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Totenhaut

Titel: Totenhaut
Autoren: Chris Simms
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den ganzen Prozess nur wieder von Neuem in Gang setzen.«
    Fiona seufzte. »Wenn ich hier übernachte, würde das gar nichts bringen. Ich würde ihn nur noch mehr reizen. Irgendwann muss ich ihm dann doch wieder unter die Augen treten.«
    »Warum? Haben Sie Kinder, die noch bei ihm sind?«
    Fiona schüttelte aggressiv den Kopf. Darauf würde sie sich nicht einlassen, nicht jetzt.
    »Dann machen Sie dem ein Ende. Ein für allemal. Verlassen Sie ihn.«
    Fiona starrte zu Boden. »Glauben Sie bloß nicht, ich hätte noch nicht daran gedacht. Aber ihn verlassen – um wohin zu gehen?«
    »Schlafen Sie sich erst mal richtig aus, und morgen rufe ich jemanden für Sie an. Es gibt Häuser, in die Sie hingehen können. Wo Sie in Sicherheit sind.«
    »Sie meinen Frauenhäuser?«, fragte Fiona. »Aber die sind für …«
    »… misshandelte Frauen«, vervollständigte Dawn den Satz. »Frauen aus allen Schichten, Frauen jeden Alters.«
    Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Frauen genau wie Sie.«
    Dawn stand auf und holte eine Flasche Cognac aus einem Schrank. Bei ihrem Anblick ballte sich Fionas Magen vor Verlangen zusammen.
    »Davon können Sie jetzt ein Schlückchen vertragen«, sagte Dawn.
    Bemüht, sich ihre Gier nicht anmerken zu lassen, hielt Fiona ihr die Tasse entgegen und sah zu, wie die satt kastanienbraune Flüssigkeit aus der Flasche gluckerte. Sie tranken sich zu. Ein Gefühl der Dankbarkeit durchströmte Fiona, trotzdem liefen ihr erneut Tränen über die Wangen. »Haben Sie es so geschafft, wegzukommen? Indem Sie in ein Frauenhaus gegangen sind?«
    »Mehr als einmal«, antwortete Dawn nach dem großzügigen Schluck, den sie selbst getrunken hatte. »Ich hatte schon angefangen zu glauben, dass ich nun mal zu den Frauen gehöre, die sich immer in die Arschlöcher dieser Welt verlieben.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt bin ich glücklich. Wissen Sie, was meiner Meinung nach am wichtigsten ist? Kameradschaft. Ein Lebenspartner, der einen als ebenbürtig behandelt. Um ehrlich zu sein, Sex ist eigentlich nicht so wichtig.«
    Fiona lief beinahe eine Gänsehaut über den Rücken bei dem Gedanken, was ihr betrunkener Mann ihr im Schlafzimmer antun würde.
    Die Außentür des Motels ging auf, und im Foyer waren leise Stimmen zu hören.
    »Dawn!«, rief eine Frau. »Bist du da hinten?«
    »Sekunde«, flüsterte Dawn und stand auf. »Ja, komme schon.« Hastig trat sie an die Rezeption.
    »Hast du ein Zimmer?« Wieder die Stimme der Frau.
    »Ja. Für die Nacht oder …?«
    »Eine Stunde.«
    Fiona beugte sich vor, um aus der Tür sehen zu können. Die Frau stand jenseits des Tresens, das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Lange, rote Fingernägel klopften ungeduldig auf die Kunstholzplatte. Neben ihr wartete ein Mann im Anzug. Sein Unbehagen war ihm anzusehen.
    »Macht zwanzig Pfund«, sagte Dawn zu ihm.
    »Ah. Ja.« Umständlich nestelte er nach seiner Brieftasche, drückte Dawn das Geld in die Hand. Doch sie öffnete nicht die Kasse, sondern steckte sich die Scheine direkt in die Gesäßtasche. Sie reichte der Frau einen Schlüssel.
    »Nummer vier ist frei.«
    Das Paar verließ das Foyer, und Dawn kam zurück ins Büro. Fiona sah sie neugierig an, und Dawn zuckte mit den Schultern. »Von dem, was dieser Konzern mir zahlt, kann ich nicht leben. Das ist der einzige Weg, über die Runden zu kommen.«
    Fiona überlegte. »Vorher, als Sie mich gefragt haben, ob es ein Freier war, da meinten Sie … Sie dachten, ich sei eine …«
    Dawn sah sie verlegen an. »Ich war mir nicht sicher. Ihre Kleider passten eigentlich nicht, aber die meisten Frauen, die hier ein Zimmer wollen, gehen anschaffen. Es tut mir leid. Sobald Sie den Mund aufgemacht hatten, war mir klar, dass Sie keine von denen sind.«
    Fiona trank noch einen Schluck und verstand plötzlich, warum der Mann in der Bingohalle so gefühllos reagiert hatte. Sie musste lachen, als sie daran dachte, was aus ihrem Leben geworden war.
    »Was ist?«, fragte Dawn mit einem nervösen Lächeln.
    »Nichts«, antwortete Fiona. »Es ist nur – wenn mir heute Morgen jemand gesagt hätte, dass ich heute Abend in einem Bordell in Belle Vue sitzen und Cognac trinken würde, dann hätte ich den für verrückt erklärt.«
    Dawns Züge entspannten sich, und sie hielt Fiona die Flasche hin.
    Fiona kam ihr mit ihrer Tasse entgegen, doch bevor Dawn ihr einschenkte, fragte sie: »Dann bleiben Sie also heute Nacht hier?«
    Fiona hatte das Gefühl, sie taumle am Rand eines Abgrunds entlang.
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