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Totengeld (German Edition)

Totengeld (German Edition)

Titel: Totengeld (German Edition)
Autoren: Kathy Reichs
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verfügbar zu halten, daneben denTelefondienst zu machen und die Besucher, die sich an ihrem Fenster zeigen, gezielt weiterzuleiten. Bei einem Personal aus drei Pathologen, zahlreichenTodesermittlern, gelegentlichen externen Beratern und meinerWenigkeit ist das eine ziemliche Leistung.
    »Ach du meine Güte.« Mrs. Flowers ’ erhobene Hand sank auf ihre gelbe Seidenbluse.
    »Das ist eine lange Geschichte«, sagte ich. Sollte heißen, fragen Sie lieber nicht.
    Eine sorgfältig gezupfteAugenbraue wanderte leicht in die Höhe, aber dabei beließ sie es.
    »Dr. Larabee möchte Sie sehen.« Eine Stimme so südlich wie Vom Winde verweht . »Er ist im großenAutopsiesaal.«
    »Danke.«
    Zwei kleine Gänge, von den Erfindern Biovestibüle genannt, verbinden dieVerwaltungs- und Öffentlichkeitsbereiche mit demAutopsiebereich. Ich ging den einen hinunter und blieb kurz vor derAnschlagtafel stehen.
    Vier neue Fälle. Ein Unfall mit einem einzelnen Fahrzeug in der Nähe des Optimist Park an der N. Davidson Street, ein älterer Fahrer, D. O. A., wie es so schön kurz heißt für dead on arrival – tot beiAnkunft – im Carolinas Medical Center. Eine Sechzehnjährige mit einer Schusswunde im Kopf, neben einem Müllcontainer am Shamrock Drive tot aufgefunden. Die peruanischen mumifizierten Überreste, die auf meine Untersuchung warteten. Und das junge Opfer der Fahrerflucht von der Old Pineville R oad.
    Slidells Unbekannte.
    Ich stellte mich vor der Damentoilette an, ließ meinen Haaren und meinem schmutzverkrusteten Gesicht die größtmögliche Interimspflege angedeihen und ging dann in den Umkleideraum, um Laborkluft anzulegen. Schließlich noch ins Büro, wo ich mir Pflaster, Antiseptikum und die Nikes holte, die immer unter meinem Garderobenständer stehen. Zehn Minuten nach meinem Eintreffen war ich bereit für den Einsatz.
    Als ich dieTür zum großenAutopsiesaal aufstieß, stand Tim Larabee neben einem der beiden Edelstahltische. Er schnitt oder wog nicht, diktierte nicht, schaute sich die Überreste nicht einmal an.
    Wollte er sie vor mir abschirmen?Vor Slidell?Vor den vielen anderen, die sie befingern und fotografieren, analysieren und sezieren würden?
    Komischer Gedanke.Aber wahr. Das kalteVerfahren hatte begonnen. Und ich würde daran teilnehmen.
    R öntgenaufnahmen leuchteten vor den Lichtkästen an einer derWände. Schädelaufnahmen. Und eine Ganzkörperserie.
    Auf einerArbeitsfläche stand ein Paar Stiefel. HellbraunesVinyl, mit hohenAbsätzen und roten und blauen Blumen an den Flanken. Die Sohlen schlammverklebt. Billig.
    Und klein.Vielleicht Größe fünfunddreißig.Winzige Füße in Stiefeln für ein sehr erwachsenes Mädchen.
    An einemTrockengestell hingen Kleidungsstücke. Eine rote Bluse. Ein Jeans-Minirock.Weißer Baumwollslip mit hellblauen Punkten.
    Slidell stand neben dem Ständer, die Füße gespreizt, die Hände zu einem V über den Genitalien zusammengelegt. Er schaute sich weder die Kleidung noch die Leiche an. Und reagierte nicht auf mein Eintreten.
    Wieder spürte ichVerärgerung in mir aufsteigen, unterdrückte sie aber, als ich in denWissenschaftsmodus schaltete. Die oberste R egel:Vorgefasste Meinungen ausschalten. KeinVerdacht, keineAngst, keine Hoffnung, was das Ergebnis angeht. Beobachte, wiege, messe und zeichne auf.
    Zweite R egel: Emotionen ausschalten. Heb dirTrauer, Mitleid und Entrüstung für später auf.Wut und Kummer können zu Irrtümern und Fehlurteilen führen. Fehler helfen deinem Opfer nicht.
    Und trotzdem. Ich schaute mir das gequetschte und verzerrte junge Gesicht an, und nur einenAugenblick lang stellte ich mir das Mädchen lebendig vor, wie sie sich ihr pinkfarbenes Kätzchentäschchen über die Schulter hängte. Die Riemchen rutschten, weil das bisschen Zeug darin nichts wog.
    Ein dunkler Straßenabschnitt.
    Ein hämmerndes Herz.
    Scheinwerfer.
    Weißer Baumwollslip mit hellblauen Punkten. DieArt, die Katy in der Middleschool bevorzugt hatte.
    »Hat Slidell Sie ins Bild gesetzt?«
    Larabees Frage holte mich aus meinen Gedanken zurück.
    »Unfall mit Fahrerflucht. Noch nicht identifiziert.«
    »Schauen Sie mal.« Larabee ging zu den Lichtkästen. Sein Gesicht wirkte hager und abgespannt, und das bei einem obsessiven Langstreckenläufer ohne jegliches Körperfett und mitWangenhöhlungen so tief wie Ozeangräben.
    Ich stellte mich neben ihn. Er zog einen Kugelschreiber aus der Brusttasche seines Labormantels und deutete auf einen Defekt etwa in der Mitte des linken
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