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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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– ausgetauscht werden?“
    Amelie schwieg ihm trotzig ein Nein entgegen.
    „Dann setzen Sie sich auf Ihren Hintern und fangen Sie an zu tippen.“
     
    Amelie tippte an diesem ersten Tag 27 Seiten in den Laptop, der ihr als Arbeitsplatz zugewiesen worden war. Es war nach 20.30 Uhr, als der Mann nur noch krächzen konnte und seine Stimme endlich versagte. Amelie fühlte sich wie betrunken, so überanstrengt war ihre Konzentration. Die Sehnen auf ihren Handrücken schmerzten.
    Sie sah ein, dass sie um diese Zeit nicht mehr runter in die Stadt laufen und sich eine Unterkunft suchen konnte. Widerwillig, aber resignierend folgte sie dem Rollstuhlfahrer mit ihrem Aktenköfferchen unterm Arm vom Arbeitszimmer in den diffus beleuchteten Burg-Korridor. Leise summten die Gummiräder über den Steinfußboden in Richtung Nebenausgang.
    „Würden Sie bitte...?“, fragte der Mann und reichte ihr einen Schlüsselbund. Amelie verschloss die schwere Holztür, durch die sie am Morgen die Burg betreten hatte, und verspürte dabei das Gefühl, sich selbst ins Gefängnis zu sperren. Zögernd gab sie den Schlüsselbund zurück. Was, wenn es Grund gäbe, die Burg fluchtartig zu verlassen?
    „Sie können das Torturmzimmer nehmen“, sagte er in ihre Gedanken hinein. „Genau über uns, zwei Stockwerke. Leider kann ich Sie nicht bringen, aber Sie finden es schon. Gute Nacht.“
    „Eine Frage noch.“
    Er hatte den Rollstuhl bereits gewendet und saß mit dem Rücken zu ihr. Ohne sich umzudrehen, antwortete er:
    „Bitte.“
    „Wie heißen Sie überhaupt?“
    „Ronan Bergenstroh. Hatten wir uns gar nicht vorgestellt?“
    „Ich mich schon. Schlafen Sie gut, Herr Bergenstroh. Danke, dass Sie sich für mich entschieden haben. Ich brauche den Job wirklich dringend.“
    „Ich weiß“, antwortete er mit dem Rücken zu ihr, drückte auf den Knopf für den Antrieb, und der Rollstuhl setzte sich langsam in Bewegung.
    „Von mir weißt du das aber nicht“, murmelte Amelie. Sie richtete den Blick zur Wendeltreppe des Bergfrieds, gruselte sich über das finstere Gemäuer und sprach sich Mut zu:
    „Wenigstens kommt er da nicht hoch.“
    Aber was, wenn er nicht der einzige Bewohner dieser Burg war?
     
    Ihr Torturmzimmer erschien Amelie wie eine Kreuzung aus exponiertem Burgverlies und Nonnenklausur. Es hatte so gar nichts vom Glanz alter Ritterzeiten, aber auch keinerlei modernen Komfort. Der größte Luxus war das dicke Milchglas, mit dem die Schießscharten abgedichtet waren. Der Wind pfiff um den Turm, aber es drang kein Hauch Zugluft herein. Das war dann aber auch schon alles, wofür Amelie dankbar sein konnte. Außer groben Steinmauern, einem Holzkasten mit Matratze und einer Wolldecke darauf gab es nichts in dem Raum.
    „Der spinnt doch wohl, mich in ein solches Storchennest zu stecken!“, fluchte sie, stellte ihre Tasche ab und leuchtete mit der Kerze, mit deren Hilfe sie den Weg nach oben gefunden hatte, jeden Bereich des kleinen Raumes aus. Nichts. Nicht mal Bettwäsche. Ein Kerker.
    Aber immerhin war es trocken und warm. Immerhin hatte sie ein Dach über dem Kopf. Eine Pension hätte sie sich gar nicht leisten können, so lange sie nicht zum ersten Mal bezahlt worden wäre. Bekäme sie keinen Vorschuss, würde die Kammer hier oben für einen Monat ihr neues Zuhause sein. In dieser Zeit würde sie schon Mittel und Wege finden, sich ihr Schicksal etwas wohnlicher zu machen.
    Amelie ließ sich auf das Bett fallen, streifte die Schuhe ab, blies die Kerze aus, zog sich die raue Decke über den Körper und fragte sich, wann sie zuletzt in ihren Kleidern übernachtet hatte. Gerade fielen ihr noch ihre Kontaktlinsen ein, da war sie auch schon eingeschlafen.
     
    Sie hörte ein Ticken, noch tief im Schlaf. Dann klang es, als würden Ketten rasseln. Das könnte zum Traum gehört haben, begriff etwas in ihr, das bereits analysierte, während der Verstand noch ausgeschaltet war, aber halb war sie nun in der Wachwelt. Das anschließende Klicken machte sie aufmerksam, es hörte sich an, als würde etwas bevorstehen. Was dann aber kam, war so infernalisch, dass sie trotz ihrer Bereitschaft für Unerwartetes vollkommen überrascht wurde. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach und ihr Herz raste, während sieben brutal laute Glockentöne ihr die Ohren zerrissen.
    Sie erinnerte sich an die Torturmuhr, die sie mit ihrer Armbanduhr verglichen hatte, als sie über die Zugbrücke in den Burghof geeilt war. Mit dem Bewusstsein des Vortages begriff
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