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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht
Autoren: Marcia Muller
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aber dann überlegte ich es mir doch anders. Rae hatte ihn mir im letzten
Winter vorgestellt und war enttäuscht gewesen, als ich Schluß machte. Statt
dessen sagte ich: »Ein gutes Verhältnis mit Greg fällt unter den Begriff ›gute
Beziehungen mit der Polizei« Ich melde mich später.«
    Als nächstes rief ich die örtliche
Filiale von Thomas Y. Grant Associates an; die Auskunft teilte mir mit, daß Mr.
Grant zu Hause arbeite, und gab mir die Nummer. Als ich dort anrief und um
einen Termin bat, machte mich seine Sekretärin gleich darauf aufmerksam, daß er
nur Männern juristischen Beistand leiste. Ich erklärte, daß es sich um eine
Privatangelegenheit handle, um die beträchtliche Erbschaft eines Mandanten der
Kanzlei All Souls. Daraufhin bat sie mich, am Apparat zu bleiben. Als sie sich
wieder meldete, teilte sie mir mit, daß Mr. Grant mich um zehn Uhr dreißig
empfangen könne, und gab mir eine Adresse in Pacific Heights, in der Lyon
Street, beim Presidio-Park.
    Auf meiner geistigen Liste stand als
letztes ein Anruf bei Jess Goodhue beim Sender KSTS. Man teilte mir mit, daß
die Nachrichtensprecherin erst gegen fünfzehn Uhr oder fünfzehn Uhr dreißig ins
Studio käme. Ich hinterließ meinen Namen und meine Telefonnummer und sagte,
falls ich nichts von ihr hörte, würde ich mich später nochmals melden. Dann
legte ich auf und starrte unentschlossen den Apparat an: Sollte ich mit Greg
einen Termin vereinbaren oder einfach Vorbeigehen? Schließlich entschloß ich
mich, ihn vorzuwarnen, und wählte seine Nummer beim Morddezernat. Er schien
sich über meinen Anruf zu freuen und lud mich zum Mittagessen ein.
    »Wir könnten das South-Park-Café
probieren«, schlug er vor.
    »Nein«, sagte ich etwas zu schnell.
South Park, eine ulkige, kleine Straße im In-Viertel SoMa (South of Market)
nahe dem Justizpalast, hatte in dem Fall, bei dem ich George Kostakos
kennengelernt und wieder verloren hatte, eine Rolle gespielt; die Gegend weckte
immer noch schmerzliche Erinnerungen.
    »...Na gut«, sagte Greg. »Wir können ja
immer noch in Max’s Diner gehen.«
    »Treffen wir uns doch in deinem Büro
und entscheiden uns dann.«
    Damit war er einverstanden.
    Ich begann mich für meinen Termin bei
Thomas Grant umzuziehen. Nach einiger Überlegung wählte ich ein graues Wollkostüm
mit einem kurzen Rock und einer zweireihigen Jacke — ein Chanel-Modell, das
auch reduziert immer noch verdammt teuer gewesen war. Aber es war sein Geld
wert. Anne-Marie nennt diese Kombination »schizoid«, weil sie beides ist,
seriös und sexy.
     
    Der Nebel hatte sich das ganze
Wochenende über nicht verzogen und hielt auch an diesem Morgen noch an. Selbst
in den ruhigen Straßen von Pacific Heights — deren Bewohner nicht nur mit
Wohlstand, sondern normalerweise auch mit schönem Wetter gesegnet sind — lag
ein leichter Dunst. Ich parkte meinen MG vor dem Haus, dessen Adresse Grants
Sekretärin mir gegeben hatte. Beim Aussteigen über lief mich ein Kälteschauer.
    Es war ein großes Haus — eines der
wenigen, die an den dichtbewachsenen Presidio-Park angrenzen. Die braunen
Schindeln, die Bleiglasfenster und die glänzende schwarze Verzierung waren
typisch für den Stil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, den man in diesem
Teil der Stadt häufig sieht. Ein hölzerner Torbogen führte in einen geziegelten
Vorgarten, der von einem Akazienbaum überschattet wurde. Der Ziegelboden war
von Blättern freigefegt worden. Blumenbeete begrenzten den kleinen Garten
entlang eines hohen Holzzaunes. In gleichmäßigen Abständen wuchsen dort
Geranien, so pedantisch, ordentlich und steif, als ob sie strammstünden.
    Pedantisch, ordentlich und steif sah
auch Grants Sekretärin aus, die mich an der Tür empfing und sich als Angela
Curtis vorstellte. Ihre blonde Frisur ließ mich sofort an den Begriff »tüchtig«
denken; sie trug ein einfaches graues Kostüm, schlichten Goldschmuck und
vernünftige flache Schuhe. Sie mußte etwa in meinem Alter sein, wirkte aber um
Jahre älter. Während ich ihr nachsah, wie sie durch die eichengetäfelte
Eingangshalle schritt, um Grant über mein Kommen zu unterrichten, versuchte ich
mir vorzustellen, wie sie am Strand entlanglief, mit Freunden lachte, aß und
trank, mit einem Mann schlief oder irgend etwas anderes tat, was normale,
lebenslustige Frauen gerne tun — es gelang mir nicht.
    Als Ms. Curtis durch eine geschlossene
Tür rechts von der breiten Mitteltreppe verschwand, drehte ich mich um und
begutachtete
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