Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Titel: Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Georges Flipo
Vom Netzwerk:
Einen nach dem anderen schickte sie hinaus, um Informationen zu sammeln, dann schloss sie sich in ihrem Büro ein, um sich die neuesten administrativen Rundschreiben anzutun. Das alles langweilte sie, sie fieberte dem Abend mit ihrem Assistenten entgegen. Gleich um achtzehn Uhr rief sie nach Monot, nachdem sie ihrem Schrank ein paar Nitrilhandschuhe sowie den digitalen Fotoapparat ihres Teams entnommen hatte. Eigentlich gehörte er ihr, aber weil es ihr Team war …
    1 Europäische Polizeibehörde, die den Austausch von Informationen zwischen den nationalen Polizeibehörden Europas vereinfacht, besonders im Bereich Schwerkriminalität.
    Zwanzig Minuten später standen sie beide vor der Leiche von Pascal Mesneux. Nur mit seinem Namensschild bekleidet, das am großen Zeh baumelte, war der Obdachlose nicht sehr appetitlich anzusehen. Aber Viviane betrachtete gern nackte Männerleichen, vor allem in Gegenwart eines anderen Männchens. Es weckte nicht ganz lupenreine Gefühle in ihr, etwas, das einen Psychologen in helle Aufregung versetzen würde, das war ihr klar. Wahrscheinlich war es aber nichts Schlimmes.
    Die Rippen standen hervor, die Beine waren übersät von Krampfadern, die blauen Flecken, die seinen Körper bedeckten, waren erbarmungslos darüber verteilt. Am Kopf, hinter dem Ohr, ein riesiges bläulich grünliches Hämatom– der Tod war bereits zugange–, ergraute Haare, die ihm in die Stirn fielen, und ein dicker, etwas hellerer Bart, unter dem sich ein Teil der krebsroten Visage versteckte.
    Viviane improvisierte eine kurze Grabrede: » Säufer hoch zehn, der arme Alte, hat sich das Leben schon vor dem Tod versaut.«
    Es gefiel ihr, die Leber des Toten zu tasten, seinen Bizeps, ihn umzudrehen, an ihm zu riechen, nur um Monot zu beeindrucken, der den Blick abwendete. Sie zog die Handschuhe über, um die Tasche zu durchsuchen: Die Unterwäsche war erstaunlich sauber. Sie zog das Buch hervor, Die Züchtigungen von Victor Hugo. » Was halten Sie davon, Monot?«
    » Das ist nicht das, was ich von seinem lyrischen Werk bevorzugen würde. Strahlen und Schatten oder Die inneren Stimmen sagen mir mehr zu. Am Ende meines Studiums hatte ich bei den Übungen…«
    Viviane verkrampfte sich. Tat er nur so, oder war er wirklich so bescheuert? » Ihr Studium ist mir völlig schnuppe, Monot. Ich interessiere mich nicht für Literatur. Ich frage Sie, ob Ihnen das nicht merkwürdig vorkommt: ein Penner, der Gedichte von Victor Hugo liest.«
    » Oh, Commissaire, alle Welt liest Victor Hugo. Pensionäre, Studenten, Bullen. Warum also nicht auch Penner?«
    Sie steckte den Seitenhieb ein. Sie hatte nie Victor Hugo gelesen. Als Nachttischlektüre war sie eher auf Krimis abonniert. Oder auf das Strafgesetzbuch.
    » Und Penner, die einen auf Victor Hugo machen – kennen Sie da viele von?« Sie hatte die Haare des Verstorbenen nach hinten gestrichen und hielt das Foto des gealterten Dichters, das auf dem Buchrücken abgebildet war, neben sein Gesicht. Die Ähnlichkeit war frappierend. » Sehen Sie, Monot, darum sollte man der morphologischen Psychologie keinen Glauben schenken. Mit der gleichen Visage endet der eine im Panthéon, der andere im Leichenschauhaus. Machen Sie ein Foto von ihm, es könnte weiterhelfen.«
    Während er sich an die Arbeit machte, durchwühlte sie weiter die Tasche.
    » Das ist aber merkwürdig, da fehlt ja etwas. Der Pfannkuchen ist verschwunden.«
    Der Lieutenant zog die Schultern ein, als würde Viviane ihn gleich ohrfeigen. » Das war ich, Commissaire, ich habe ihn gegessen.«
    Die Kommissarin konnte ihren Ekel nicht unterdrücken. » Sie haben ihn gegessen? Sind Sie wahnsinnig?«
    » Ich hatte nicht gefrühstückt, und weil ich im Pitié-Salpêtrière zu viel Zeit verloren hatte, konnte ich es auch nicht mehr nachholen. Und weil der Pfannkuchen ordentlich in Papier eingepackt war, dachte ich, in puncto Hygiene spräche nichts dagegen.«
    » In Puncto Hygiene ist das Ihre Sache, aber in Puncto Beweismittel? Lieutenant Monot haut sich also den Bauch mit den Beweismitteln dieses Falls voll– ist das eine neue Methode? Und wie war er, dieser Pfannkuchen?«
    » Ganz lecker. Eine Art Pancake, ziemlich fettig, dick, mit Schinken drin. Und Käsegeschmack. Roch recht stark, die Tasche riecht immer noch danach.«
    Sie seufzte, lange. Dieses Mal lag in diesem Seufzer kein Ärger; nur der Wunsch, gelassen zu bleiben. Die Kommissarin rief den Diensthabenden, damit er den Verstorbenen wieder verstaute, und ging;
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher