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Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Titel: Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Georges Flipo
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jedenfalls nicht.«
    » Ja, ja, aber da er tot ist, komme ich an seiner Stelle.«
    Der kleine Mann warf einen Blick auf den gegenüberliegenden Gehsteig und schien die versteckte Kamera zu suchen, das Missverständnis musste aufgeklärt werden.
    » Victor Hugo wurde ermordet, der Arme.«
    Der Concierge lächelte ihr panisch zu und schloss langsam die Tür.
    Viviane zückte ihren Dienstausweis mit der Trikolore. Das schindete selbst an solchen Orten Eindruck. Sie wedelte mit dem Umschlag. » Ich muss nur dem Dichterfürsten diesen Brief übergeben. Da bin ich doch hier richtig?«
    Sie las im Blick des Concierge das Entsetzen des Kultivierten angesichts barbarischen Wahnsinns. Am liebsten hätte er die Tür einfach wieder verriegelt.
    Viviane gab nicht nach: » Ich möchte wenigstens mit einem Akademiemitglied sprechen, das ist eine ernste Angelegenheit.«
    » So früh am Morgen sind keine Akademiemitglieder zu sprechen, nicht für Victor Hugo, und nicht für eine Kommissarin oder eine Frau Kommissar. Und noch weniger gibt es bei uns einen Dichterfürsten, wir leben hier in einer Republik. Warten Sie noch etwas, dann können Sie dem Sekretär unserer ständigen Sekretärin den Umschlag übergeben.«
    » Dem Sekretär der Sekretärin? Gibt es keinen… Verantwortlicheren?«
    » Die ständige Sekretärin ist außerordentlich verantwortlich. Sie ist Akademiemitglied, eine ›Unsterbliche‹. Die Sekretärin ist beständig-unsterblich, haha!«
    Er wiederholte noch einmal, dass die ständige Sekretärin beständig-unsterblich sei, was ihn zu amüsieren schien, dann schloss er abermals die Tür und bat Viviane auf dem Gehweg zu warten, man würde sie holen kommen. Das Eindringen einer Frau, die soeben den Tod Victor Hugos verkündet hatte und behauptete, an seiner statt zu kommen, musste ihn entsetzen. Er war ein Mistkerl, ein Angeber, der eine Woche lang nur davon erzählen würde, dass er einen Bullen in der Eiseskälte draußen hatte stehen lassen. Wahrscheinlich würde er sogar von einer Bullin reden, so ein Typ war das.
    Viviane wartete geduldig im perfiden Januarfrost. Ihre kleinen grauen Schuhe waren letztendlich keine gute Idee gewesen: zu leicht, vor allem, um sich damit die Beine in den Bauch zu stehen. Sie spürte, wie der Frost in ihren Körper kroch.
    Endlich öffnete sich die Tür, und ein alternder Student mit steifen Manieren rettete sie. Der Sekretär der ständigen Sekretärin. Er führte sie in ein kleines Büro, ließ sie sich vorstellen und hörte ihr mit besorgtem Wohlwollen zu.
    » Commissaire Viviane Lancier, 3. Pariser Kriminalabteilung.«
    » Ah ja, Quai des Orfèvres, nicht wahr?«
    » Nein, es gibt drei Kriminalabteilungen, meine ist die in der Avenue du Maine. Die Kriminalabteilungen sind in gewisser Weise die Pariser Filialen vom Quai des Orfèvres– für die weniger wichtigen Fälle.«
    » Eine Sache, die die Académie Française betrifft, ist also nicht wichtig?«
    Viviane legte ihm den Fall dar, um ihn zu beruhigen, aber er schien wenig überzeugt. Er erging sich in einem langen, traurigen Monolog: Einen Dichterfürsten gebe es in der Académie nicht, nur drei Dichter, Jean Matsuyama, Félicien Driscoll und Armand de Lalande. Dichter würden nicht geschätzt– er senkte die Stimme, um anzudeuten, welch enorme Vertraulichkeit er im Begriff war auszuplaudern: Viel lieber empfange man hier Romanciers, natürlich, aber auch Essayisten, eine gute Nische, müsse sie wissen– als wolle er Viviane zu einer Kandidatur bewegen. Dann gebe es noch die Kritiker, Historiker, Politiker, Filmemacher und Texter, gewissermaßen wäre alles sehr in Mode, nur Dichter nicht. Einen Dichterfürsten, nein, Madame, so etwas gebe es in diesem Hause nicht. Wie es sie im Übrigen nirgendwo mehr gebe: Um Dichterfürst zu werden, müsse man von dichtenden Kollegen dazu auserkoren werden, deren Werke in einem ordentlichen Verlag erschienen. Und da es kaum mehr Verlage gebe, die Gedichte veröffentlichten, gebe es auch keinen Dichterfürsten mehr, ob sie folgen könne?
    Er klopfte diskret mit den Fingern auf seinen Knien herum, wie um zu unterstreichen, wie lästig er diesen Besuch fand. » Was ich Ihnen anbieten kann, Commissaire, ist, dieses… Kuvert der Frau Sekretärin zu übergeben. Morgen ist Wörterbuchsitzung, da sollten alle da sein.«
    Aus dem Umschlag war also nach seinem Eintritt in die heiligen Hallen ein Kuvert geworden! Viviane vertraute es ihm widerstrebend an. Mit Handschuhen und den üblichen
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