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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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aufzuziehen.«
    »Was ist so schlimm daran, sich aushalten zu lassen?«, frage Kenji. Er lief einige Meter neben dem Weg oben am Hang.
    Akiko warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu.
    »Dann such dir doch jemanden mit weniger Geld, als du selbst hast«, schlug ich vor.
    Akiko: »Romantiker! Wie soll ich mir denn dann die Studiengebühren für das Kind leisten?«
    »Wie wäre es, wenn du deinem Herzen folgst?«, fragte Kenji.
    »Die tollen Männer sind schon vergeben.«
    Das konnte nicht stimmen, denn die meisten Japaner heiraten erst in den Dreißigern.
    »Was ist mit Yusuke?«
    Es wirkte immer mal wieder so, als seien die beiden zusammen, was Akiko jedoch jedes Mal bestritt.

    »Du willst doch nicht im Ernst vorschlagen, dass ich Yusuke heirate?«
    Noch vor wenigen Jahrzehnten war auch in Japan die Welt noch in Ordnung gewesen. Alle haben Mitte zwanzig geheiratet. Alle. Die Firma übte subtilen Druck auf 25-Jährige beiderlei Geschlechts aus, die noch nicht vergeben waren. »Hör mal, Kunio-kun, nur wer in ordentlichen Verhältnissen lebt, wird Assistent des Abteilungsleiters«, sagte der Hauptabteilungsleiter halb im Scherz beim allabendlichen Saufengehen. Wer heiratete, erhielt automatisch mehr Geld. Die einfachste Lösung war also, sich am Kopierer mit einer der niedlichen Office-Ladys des gleichen Unternehmens anzufreunden, sie zu ehelichen und alsbald zu schwängern. Wegen der gründlichen Festlegung auf die Frauen- und Männerrollen war diese Wahl für beide Seiten meistens gar nicht mal so falsch. Die Office-Lady verließ nach der Hochzeit selbstverständlich das Unternehmen und widmete sich ihren Pflichten als Hausfrau. Fortan stand sie morgens an der Tür und winkte ihrem Göttergatten, der mit seinem Toyota in die Firma rauschte. Das Unternehmen stellte an ihrer Stelle eine frische, aber ansonsten identische Zwanzigjährige an. In den besseren Schichten suchten in den Achtzigerjahren noch Heiratsvermittler nach passenden Söhnen und Töchtern, um die Erbhöfe von Politikern und Industriedynastien zu erhalten.
    Vorbei. Sogar der kaiserliche Kronprinz hat eine junge Frau aus dem niedrigen Adel geheiratet, fast eine Bürgerliche. Für die Japaner wird Selbstverwirklichung zwar nie so wichtig werden wie für Europäer, aber in der Partnerwahl sind sie anspruchsvoller geworden. Die Männer sind dabei immer noch pflegeleicht. Sie würden vermutlich weiterhin
eine liebe kleine Frau nehmen, die zu Hause die Futons ausschüttelt und das Baby stillt, während sie ihre Überstunden absitzen. Probleme bekommen vor allem Frauen wie Akiko.
    Selbst schuld, sagen die Ultrakonservativen. Der Gouverneur von Tokio hat einmal erklärt: »Alte Frauen, die keine Reproduktionsfunktion mehr haben, sind nutzlos.« Der evolutionäre Sinn einer Frau liege in ihrer Gebärfunktion, erklärte Shintaro Ishihara.
    Doch die heutigen jungen Frauen wollen lieber etwas mit ihrem Uni-Abschluss anfangen und Karriere machen, statt sich von irgend so einem Typen auf der Nase herumtanzen zu lassen und fürs Babygeschrei da zu sein.
    »Was ist denn falsch an Yusuke?«, fragte ich so unschuldig wie möglich.
    »Ach, Yusuke ist ein guter Kerl …«, sagte Akiko. »Ich verstehe mich mit ihm echt gut. Aber er liest nie Bücher und kommt nicht pünktlich.«
    Wir bogen um eine Ecke.
    »Das kann doch noch nicht der Punkt sein.«
    »Nein, der kommt erst da vorne, wo es zwischen den Felsen langgeht«, sagte Kenji.
    »Entschuldigt mein unklares Japanisch. Ich meine nicht den Aussichtspunkt, sondern den entscheidenden Fehler von Yusuke.«
    Akiko sagte eine Weile nichts. Wir überquerten einen glatten Felsrücken, über den der Wind pfiff. Kenji zeigte auf die Spitze des Berges Fuji, den wir von hier aus zum ersten Mal sehen konnten. Wir mussten uns durch eine enge Felsspalte schieben und konnten einige Metallstufen zum Gipfel hinaufklettern. Zedern dekorierten den Ausblick. Am
Rand einer Ebene mit Städten und Teefeldern erhob sich der Kegel des heiligen Berges vor uns. Zu dieser Jahreszeit war die obere Hälfte weiß beschneit. Der Himmel strahlte blau, nur über dem Fuji schwebte eine kleine runde Wattewolke.
    »Unglaublich!« - »Wow!«, sagten meine Japaner und ich. Mit klammen Fingern fummelten wir an unseren Digitalkameras herum und versuchten, den Vulkankegel heranzuholen. Auf der Digitalanzeige sah er plötzlich viel kleiner aus als mit bloßem Auge.
    Auf dem Rückweg sagte Akiko die Wahrheit.
    »Yusuke arbeitet halt nur als Fahrer für die
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