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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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hatte. Einige Sekunden Pause.
    »Ach, so ist das«, sagte die Reisefachfrau. Das Mädchen daneben begann wieder zu tippen, aber lauter als vorher.
    »Ja, so ist das«, bestätigte ich.
    »Ja, dann …«
    Sie räumte all die Kataloge wieder weg und fing an, im Schrank hinter sich zu kramen. In einer der unteren Schubladen
fand sie einen zerfledderten, ganz dünnen Katalog. Sie legte ihn vor mich hin. Auf dem Titelblatt stand: »Reisen allein«, die Schriftzeichen waren rund und geschwungen, so wie schülerhaft penibel mit Filzstift gemalt. Dazu war ein allzu schlichtes Hotelzimmer mit einem schmalen Einzelbett abgebildet, neben dem ein einzelner leerer Massagesessel stand. »Einmal ganz egoistisch ausspannen«, lautete die Unterzeile.
    »Die ganzen Orte sind ziemlich nah an Tokio«, erklärte die Reiseberaterin und fing an zu blättern.
    »Kann ich so eine Broschüre mitnehmen?«, fragte ich. Sie fing wieder an zu suchen.
    »Nein, wir haben davon nur eine, die Nachfrage ist nicht so groß. Aber wenn Sie bei Japan Travel Bureau vorbeigehen - da gibt es die.«
    Ich bedankte mich und ging. Bildete ich mir das ein, oder klang der Chor von Stimmen hinter mir, »Vielen Dank und auf Wiedersehen«, etwas misstrauisch?
    Man fährt in Japan nicht einfach allein zum Spaß weg.

    Also buchte ich meine Reise ohne Single-Diskriminierung online. Eines der wenigen Ziele, das nach Auswahl der Personenzahl »1« übrig blieb, war Shimoda auf der Halbinsel Izu, wo auch Kenjis Heimatort Atami liegt.
    Hier wachsen Palmen wie in den Tropen und zugleich Bambus und Zedern. Die Büsche auf den sanften Hügeln leuchten sattgrün. Im heißen Bad des Hotels raubte mir der Blick den Atem. Eines der dampfenden Becken lag außen Richtung Meer und war links und rechts von Palmen und anderem exotischen Gewächs eingerahmt. Ich weichte nackt
im heißen Wasser ein und schaute zuerst auf eine sanft geschwungene Bucht mit einer schroff abfallenden Felsküste; dahinter lag einer dieser knubbeligen vulkanischen Hügel, sattgrün von Büschen überzogen. Den Rest des Blickfelds nahm das Meer ein, vorne blass-, hinten tiefblau. Eine tiefstehende goldgelbe Sonne schickte leuchtende Strahlen durch dieses Gemälde.
    Im warmen Shimoda suchte ich abends erst mal die lustige Beschriftung. Es gibt in jedem japanischen Hotelzimmer ein Schild, das der Hotelmanager selbst getextet hat, ohne es korrigieren zu lassen. Diesmal klebte das Schild am Haartrockner. »Do not use for the other purpose.« - Das klang so, als gebe es noch eine ganz bestimmte andere Anwendung für den Föhn, wahrscheinlich eine völlig unaussprechliche Sexualpraktik, die aber doch jedem in Japan so geläufig ist, dass der durchschnittliche Hotelbesucher sofort weiß, was gemeint ist.
    Zu Fuß auf dem Weg in den nächsten Ort zum Essen pflegte ich meine Verdächtigungsfantasien. Das überkam mich öfter, wenn ich in Japan allein in abgelegenen Hotels wohnte. Der Ausländer würde immer der Verdächtige sein, wenn in dem Hotel ein Verbrechen geschähe (ein ordentlicher Mensch reist schließlich in der Gruppe oder zumindest zu zweit). Was, wenn jemand am Pool eine Videokamera klaute, aus einem Zimmer eine Geldbörse verschwände? Was, wenn plötzlich eine Leiche im Aufzug lag, durchsiebt von Einschusslöchern? Wird die Polizei den Mafiabaron in der Fürstensuite verdächtigen? Nein, sie wird als Erstes an den Ausländer denken. Da würde ich dann sitzen, und der Kommissar würde fragen: »Wo waren Sie um …« - während
ich das fantasierte, sah ich in der Realität auf die Uhr im Handy - »… 19 Uhr 14, während der Täter den Hotelsafe mit einem Schweißbrenner knackte?«
    »Ich ging an einer einsamen Küste entlang«, sagte ich in meiner Fantasie noch mit dem Vertrauen in meine Unschuld.
    »Ein DNA-Test wird Sie überführen!«, brüllte mir der Kommissar in meiner Fantasie ins Gesicht. Neulich erst war die Geschichte von dem Busfahrer ans Licht gekommen, der nach einem falschen DNA-Test im Knast saß.
    Die ersten Restaurants tauchten am Rand auf. Warum hießen diese Läden eigentlich wirklich und wahrhaftig »Fischrestaurant zur Möwe« oder »Bambus. Traditionelle Küche«? Finden die Besitzer keine noch klischeehafteren Namen?
    Ich ging ins »Schwarze Schiff«, Untertitel: Hier schmeckt’s wie bei Muttern. Mit schwarz angestrichenen Schiffen war der amerikanische Commodore Perry vor 150 Jahren in dieser Bucht gelandet und hatte am Ende die Öffnung Japans erzwungen. Ich schob die Tür auf
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