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Tödlicher Mittsommer

Tödlicher Mittsommer

Titel: Tödlicher Mittsommer
Autoren: Viveca Sten
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Pistole mit beiden Händen. Entsicherte sie und zielte auf das Hängeschloss.
    Der Schuss klang wie ein Donnerknall.
    Das Echo rollte über die Klippen. Das Hängeschloss fiel zu Boden und versank im Heidekraut.
    »Schnell, beeil dich.«
    Sie rannten die Treppe hinauf, Thomas vorweg. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Im Turm war es dunkel, es roch beißend nach Rauch. Henrik musste husten. Kein Zweifel, hier hatte es vor Kurzem gebrannt.
    Als sie den ersten Absatz erreichten, blieb Thomas stehen.
    Die Tür war mit einem stabilen Haken verschlossen. Den altmodischen Bügelgriff hatte jemand außerdem mit einem langen schwarzen Maulschlüssel aus Eisen blockiert. Einem von der alten Sorte, wie sie früher benutzt wurden, um Schraubenmuttern so groß wie Handteller anzuziehen.
    Der Maulschlüssel steckte felsenfest.
    »Nora«, rief Henrik, während er an die Tür hämmerte. »Nora, bist du da?«
    Thomas versuchte, den Schraubenschlüssel besser in den Griff zu bekommen, und zog mit aller Kraft, bis ihm die Augen aus dem Kopf traten. Henrik versuchte zu helfen, so gut er konnte, aber es war unmöglich, den Schlüssel richtig zu packen und die Kraft wirksam anzusetzen. Er wurde von seinem eigenen Gewicht gegen die Tür gepresst.
    Mit schmerzenden Händen ließ Thomas das Werkzeug los. Er musterte die Tür und überlegte, ob er versuchen sollte, sie einzutreten. Das war vermutlich sinnlos. Sie war gebaut, um Jahrhunderte zu halten. Wie alles andere im Leuchtturm war sie aus solidem Material und mit handwerklichem Können gefertigt. Man hätte schon die Kräfte eines Riesen haben müssen, um sie kleinzukriegen.
    Trotzdem versetzte er der Tür einen Tritt, aus blanker Wut.
    Sie bewegte sich keinen Millimeter.
    »Das wird nichts. Die Tür ist völlig verkeilt. Wir müssen sie kaputt schlagen.«
    Er drehte sich zu Henrik um.
    »Versuch eine Axt oder was Ähnliches zu finden. Die Insel ist doch bewohnt. Vielleicht ist jemand zu Hause, der uns helfen kann.«
    Wieder rüttelte er an dem schweren Eisenschlüssel, ohne dass der sich auch nur im Geringsten bewegte. Diese Ohnmacht war unerträglich.
    Er sah wieder Emilys kleinen Körper vor sich. Wie sie ganz still dalag, mit blauen Lippen, und es zur schrecklichen Gewissheit wurde,dass sie nie wieder atmen würde. So ohnmächtig wie damals fühlte er sich jetzt auch.
    Er durfte Nora nicht auch noch verlieren. Es musste etwas geben, was er tun konnte.
    Thomas packte zu, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Spannte die Muskeln an, die er in vielen anstrengenden Handballspielen trainiert hatte. Der Schlüssel bewegte sich eine Idee, sank aber zurück, als Thomas seinen Griff lockerte. Die Frustration war so groß, dass sie ihn zu zerreißen drohte. Der Rauchgestank ließ seine Augen tränen. Er hämmerte an die Tür und rief immer wieder Noras Namen, ohne eine Antwort zu erhalten.
    Henrik rannte die Treppe hinunter. Als er durch die Tür nach draußen kam, sah er sich hastig um.
    Nördlich des Leuchtturms, weniger als hundert Meter entfernt, waren die Wohnungen der ehemaligen Leuchtturmbesatzung. Links stand ein großes Steinhaus. Das war vollkommen dunkel. Dahinter stand ein anderes, und ein Stück weiter weg war das rote Holzhaus des Leuchtfeuermeisters. Auch in denen brannte keine Licht.
    Er lief zu dem Steinhaus und rüttelte an der Tür. Abgeschlossen. Er versuchte, durch das Fenster hineinzuspähen, aber in der fahlen Dämmerung war kaum etwas zu erkennen.
    »Hallo, aufwachen, aufwachen!« Er hämmerte und rief, so laut er konnte, aber die einzige Antwort war das Echo seiner Stimme.
    Henrik rannte zum Haus des Leuchtfeuermeisters und drückte die Türklinke. Er riss und rüttelte mit aller Kraft daran. Vergeblich. Niemand da.
    Verzweifelt blickte er sich nach etwas um, das als Schlagwerkzeug dienen könnte. Am westlichen Horizont zeichnete sich die Silhouette von Sandhamn ab. Unvorstellbar, dass er erst vor wenigen Stunden mit dem Segelboot im Hafen festgemacht hatte, ohne zu ahnen, dass sein ganzes Leben in Scherben zu zerbrechen drohte.
    Vor seinem inneren Auge sah er Nora eingesperrt im Turm, umgeben von lodernden Flammen. Er biss sich hart auf die Lippe, um das Bild abzuschütteln. Er musste Ruhe bewahren. Als erfahrener Arzt hatte er schon genügend schlimme Fälle gesehen.
    Aber da hatte es sich nicht um seine eigene Frau gehandelt.
    Was sollte er den Kindern sagen, wenn sie Nora nicht rechtzeitigfanden? Wie sollte er mit der Erinnerung an die letzten Worte
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