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Tödlicher Irrtum

Tödlicher Irrtum

Titel: Tödlicher Irrtum
Autoren: Agatha Christie
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Jackson war noch immer liebenswürdig und zurückhaltend. Er beugte sich vor und versuchte, Calgary auf seine sanfte Art zu helfen.
    »Da Sie mir einen Brief von Marshall bringen, nehme ich an, dass Ihr Besuch etwas mit meinem armen Clark zu tun hat.«
    Calgary konnte sich nicht mehr an die sorgfältig vorbereiteten Worte und Phrasen erinnern, und doch musste er irgendwie sprechen. Wieder stammelte er:
    »Es ist so entsetzlich schwierig…«
    Nach einem kurzen Schweigen meinte Leo zögernd:
    »Vielleicht kann ich Ihnen die Sache erleichtern: Wir wussten, dass unser Clark kaum mit normalen Maßstäben zu messen war. Nichts, was Sie uns zu sagen haben, wird uns überraschen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Clark nicht die volle Verantwortung für die furchtbare Tragödie trägt.«
    »Natürlich war er nicht verantwortlich«, warf Hester ein.
    Calgary blickte erstaunt auf; einen Augenblick lang hatte er ihre Anwesenheit vergessen. Sie saß hinter ihm auf einer Sessellehne, und als er sich zu ihr umwandte, fuhr sie eifrig fort:
    »Clark war schon als kleiner Junge ein Scheusal – wenn er die Geduld verlor, ergriff er den ersten besten Gegenstand und ging damit auf einen los.«
    »Aber Hester – Hester!« meinte Jackson vorwurfsvoll.
    Das Mädchen legte rasch die Hand auf den Mund. Es errötete und sagte verlegen: »Ich bitte um Entschuldigung… ich hab’s gut gemeint… aber ich hätte das nicht sagen sollen, nicht jetzt, nachdem – nachdem – «
    »Nachdem der Fall erledigt ist«, vollendete Jackson ihren Satz. »Das alles gehört der Vergangenheit an. Ich möchte nur noch hinzufügen, dass wir uns bemühen, den Jungen als einen Invaliden zu betrachten, als eine Abnormität – das ist wohl der beste Ausdruck.« Er sah Calgary an. »Geben Sie uns da Recht?«
    »Nein«, erwiderte Calgary.
    Es folgte ein kurzes Schweigen. Das scharfe Nein hatte seine Zuhörer anscheinend verblüfft. Er versuchte, die Wirkung zu mildern, und fügte hinzu:
    »Es – es tut mir Leid, aber Sie wissen ja noch nicht, worum es sich handelt.«
    »Allerdings.« Jackson schien zu überlegen… Er wandte sich an seine Tochter. »Vielleicht solltest du uns kurz allein lassen, Hester.«
    »Nein, auf keinen Fall. Ich muss unbedingt hören, was er uns zu sagen hat.«
    »Das kann aber sehr peinlich sein.«
    »Und was für eine Rolle spielt das jetzt noch? Was Clark auch Furchtbares getan haben mag – es ist ja längst vorbei.«
    »Bitte, glauben Sie mir, es kann keine Rede davon sein, dass Ihr Bruder etwas getan hat – ganz im Gegenteil«, warf Calgary rasch ein.
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    Die Tür am anderen Ende des Zimmers wurde geöffnet, und die junge Dame, die Calgary bei seinem Eintreten bemerkt hatte, trat herein. Sie trug nun einen Mantel und ein kleines Köfferchen.
    Sie sah Jackson an.
    »Ich gehe jetzt – oder ist noch irgendetwas zu erledigen?«
    Nach kurzem Zögern, Calgary hatte bereits bemerkt, dass Jackson immer zögerte, bevor er etwas sagte, legte er eine Hand auf ihren Arm und bat sie:
    »Setz dich zu uns, Gwenda. Darf ich bekannt machen: Dr. Calgary – Miss Smith, die seit… seit« – wieder zögerte er –, »die seit Jahren meine Sekretärin ist.« Dann fügte er hinzu: »Dr. Calgary ist hierher gekommen, um uns etwas zu erzählen – oder um uns etwas zu fragen – über Clark.«
    »Um Ihnen etwas mitzuteilen«, unterbrach Calgary, »und obwohl Sie sich nicht klar darüber sind, machen Sie es mir mit jeder Minute schwerer.«
    Alle sahen ihn erstaunt an, doch glaubte er in Gwenda Smiths Augen ein gewisses Verstehen aufflackern zu sehen.
    Sie ist wirklich sehr reizvoll, dachte er, nicht mehr ganz jung – vielleicht schon Ende der dreißig. Ihre Haare und Augen waren dunkel, ihre Figur vollschlank. Sie machte den Eindruck eines gesunden, vitalen und gleichzeitig tüchtigen, intelligenten Menschen.
    Jackson sagte kühl: »Ich weiß wirklich nicht, inwiefern wir Ihnen Ihre Aufgabe erschweren, Dr. Calgary – nichts liegt mir ferner. Aber vielleicht könnten Sie jetzt zur Sache kommen…«
    »Ja – und bitte verzeihen Sie meine Worte. Sie wurden dadurch hervorgerufen, dass Sie und Ihre Tochter immer wieder betonten, dass alles vorbei und erledigt sei. Aber das ist keineswegs der Fall. Die Sache ist nicht erledigt. Wenn Sie gehört haben, worum es geht, werden Sie mein Zögern verstehen«, fuhr Calgary fort. »Zunächst einmal muss ich Ihnen etwas über mich selbst erzählen. Ich bin Geologe, und ich war bis
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