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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut
Autoren: Linda Castillo
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wahrscheinlich, dass er ihr die Handschellen abnimmt, aber er schreibt sichtlich ungerührt etwas auf seinen Block.
    »Bleib hier stehen«, sage ich zu Sadie, »ich bin gleich zurück.«
    Ich mache mich auf zu Glock, der hochschaut und mir entgegenkommt, so dass wir uns in der Mitte der Brücke treffen, wo uns keines der beiden Mädchen hören kann. »Und, was glauben Sie?«, frage ich.
    Glock schüttelt den Kopf. »Waren wir als Teenager auch so bescheuert?«
    »Wahrscheinlich.«
    Er blickt auf seinen Notizblock. »Anscheinend haben sich die beiden Mädchen wegen eines Typen geprügelt. Der erste Körperkontakt ging von McClanahan aus, das andere Mädchen hat den ersten Schlag gelandet.«
    »Ich bin so froh, kein Teenager mehr zu sein.«
    »Wohingegen ich gern der Typ wäre, um den sie sich geprügelt haben.«
    Wir grinsen uns an.
    »Und wen stecken wir jetzt ins Gefängnis?«, fragt er.
    »Diesmal lasse ich beide mit einer Verwarnung laufen und unterhalte mich mit den Eltern.«
    »Gute Entscheidung.« Er nickt zustimmend. »So hält sich auch die Berichteschreiberei in Grenzen.«
    »Fahren Sie Angi McClanahan nach Hause? Und reden mit ihren Eltern?«
    »Mach ich.«
    Ich sehe zu Sadie Miller und seufze. Sie lehnt mit dem Rücken an der Fensterbank, einen Fuß hinten an der Wand, raucht eine Nelkenzigarette und beobachtet mich. »Kaum zu fassen, dass Jugendliche noch immer dieses Zeug rauchen«, murmele ich.
    Glock nickt. »Die Dinger bringen einen um, so viel ist mal sicher.«
    Ich gehe zurück zu Sadie und denke, dass Glock und ich ziemlich genau wissen, dass jungen Menschen heutzutage viel Gefährlicheres droht. Und dass die meisten von uns nicht die geringste Ahnung haben, wie man sie davor schützen kann.

2.
    Kapitel
    Fünfundvierzig Minuten später bin ich auf dem Rückweg von der Miller-Farm, wo Sadie mit ihren Eltern und vier Geschwistern lebt. Ich kann ganz gut die Gedanken von Leuten lesen und bin ziemlich sicher, dass sie dachten, ich hätte Sadie das blaue Auge verpasst. Gerechtfertigt oder nicht, habe ich das wohl meinem Ruf bei den Amischen zu verdanken.
    Ich hatte mir Mühe gegeben, den Vorfall so objektiv wie möglich darzustellen. Esther und Roy Miller hörten aufmerksam zu, doch das Misstrauen – oder war es sogar Argwohn? – in ihren Augen war nicht zu übersehen. Es gab mehr Schweigen als Fragen. Als ich schließlich ging, hatte ich starke Zweifel, ob sie mir überhaupt etwas von meiner Schilderung geglaubt haben.
    Wäre es keine amische Familie gewesen, hätte ich mir anhören müssen, wie die Eltern ihr Kind verteidigten oder mit billigen Angriffen auf mich und mein Polizeirevier den Vorfall zu relativieren versuchten. Doch nicht so die Amischen. Bei ihnen gibt es keine Schuldzuweisungen, absurde Rationalisierungen oder den Versuch, einem anderen etwas in die Schuhe zu schieben. Amische Eltern sind generell streng zu ihren Kindern; Gehorsam wird schon in jungen Jahren eingeschliffen und nötigenfalls mit »einer Tracht Prügel« durchgesetzt.
    Sadie ist über das Alter hinaus, in dem Prügel noch etwas bewirken. Doch ich zweifele nicht daran, dass sie für ihren Ungehorsam bestraft wird und wahrscheinlich unangenehme Hausarbeiten verrichten muss. Ich frage mich, ob das genügt.
    Müde und mit den Gedanken noch immer bei Sadie, bin ich auf dem Weg zum Polizeirevier, um meinen abschließenden Tagesbericht zu schreiben, als sich das Mobiltelefon meldet. Mein leichter Missmut verwandelt sich umgehend in Freude, als ich Tomasettis Name auf dem Display sehe, und ich setze das Headset auf. »Guten Morgen, Agent.«
    »Ich hab vorhin schon mal angerufen und da war nur die Mailbox dran. Ist alles in Ordnung?«
    »Tut mir leid, ich war bei einem Einsatz.«
    »Kühe einfangen?«
    »Schlimmer«, sage ich. »Teenager.«
    »Das ist schlimmer.«
    »Bei Kühen weiß man wenigstens, wo man dran ist.«
    »Und sie machen weniger Mist.«
    John Tomasetti ist Agent im Bureau of Criminal Identification and Investigation – BCI – in Cleveland, Ohio. Wir haben uns vor eineinhalb Jahren kennengelernt, als er uns bei den Ermittlungen der Schlächter-Morde unterstützte. Es war eine turbulente Zeit für uns beide, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Seine Frau und zwei Kinder waren erst neun Monate zuvor ermordet worden, was ihn fast umbrachte. Er nahm starke Medikamente, und gleichzeitig trank er viel. Diese Form der Krisenbewältigung führte dazu, dass seine Karriere den Bach runterging und sein Leben
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