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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut
Autoren: Linda Castillo
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außer Kontrolle geriet. Vermutlich spielten sich auch noch andere Dinge ab, aber darüber hat er nie etwas verlauten lassen. Nun ja, viele Menschen haben ihre Geheimnisse, die sie nie preisgeben würden.
    Es war mein erster großer Fall als Polizeichefin gewesen, wobei sich die Ermittlungen wegen eines viele Jahre zurückliegenden persönlichen Erlebnisses als sehr stressig erwiesen. Zudem waren die Morde äußerst brutal und schockierend – Albtraumnahrung. Doch irgendwie wurden Tomasetti und ich inmitten all des Grauens und Blutvergießens zuerst Verbündete, dann Freunde – und später ein Liebespaar. Am Ende hatten wir den verdammten Fall gemeinsam geknackt.
    »Hast du überhaupt geschlafen?« Er weiß, dass ich die Nachtschicht hatte.
    »Ich schreibe jetzt noch meinen Bericht und fahre dann nach Hause.« Im Stillen frage ich mich, ob er vielleicht kommen will – ob er das Wochenende frei hat und es mit mir zu verbringen gedenkt. Es ist schon einen Monat her, dass wir uns gesehen haben, und die Vorstellung lässt mein Herz höher schlagen. Doch ich ziehe sofort die Bremse, habe noch immer Probleme, einem Gefühl zu trauen, das einen mit solcher Kraft packt und so leicht daherkommt.
    »Ich hab gerade einen neuen Fall auf dem Tisch«, sagt er, »und mich gefragt, ob du Interesse hast, in beratender Funktion daran mitzuarbeiten.«
    Einen Moment lang bin ich zu überrascht, um zu antworten. Diese Anfrage ist mehr als ungewöhnlich. Ich bin Polizeichefin einer kleinen Stadt und verbringe normalerweise meine Tage damit, häusliche Auseinandersetzungen zu schlichten, bei Schlägereien einzuschreiten und gelegentlich einen Einbruch zu untersuchen. Also Kleinstadtkriminalität. Warum sollte er mich brauchen, wo ihm beim BCI viele erfahrene Mitarbeiter zur Verfügung stehen? »Es geht aber nicht um Kühe, oder?«, frage ich.
    Er lacht. »Zwei vermisste Personen, aber das scheint mir noch nicht das Ende.«
    »Das ist nicht gerade mein Spezialgebiet.«
    »Wenn es um Amische geht, schon.«
    Das macht mich neugierig. »Ich bin ganz Ohr.«
    »Zwei Teenager werden vermisst, aus zwei verschiedenen Städten in einem Radius von hundert Meilen. Wir stellen gerade die Fakten zusammen, und ich fahre so schnell es geht hin, um die Familien zu befragen. Ich dachte, du könntest mir vielleicht dabei helfen.«
    Die Kluft zwischen den Amischen und den Englischen ist größer als man denkt, dessen bin ich mir bewusst. Eine Kluft, die noch tiefer wird, wenn Polizei oder eine übergeordnete Behörde wie das BCI involviert sind. Meine persönlichen Kenntnisse der Amischen sowie die Tatsache, dass ich fließend Pennsylvaniadeutsch spreche, können dazu beitragen, diese Gräben zu überbrücken und es ihnen leichter machen, offen zu sprechen.
    Ich halte vor der Butterhorn Bakery an, um mich ganz auf das Gespräch zu konzentrieren. »Wo genau sind die Mädchen verschwunden?«
    »Die letzte Vermisstenanzeige kam aus Rocky Fork, einer kleinen Stadt zirka fünfzig Meilen von Cleveland entfernt.«
    Ich atme tief durch, will mich nicht allzu geschmeichelt fühlen. »Macht mich neugierig.«
    »Neugierig genug, um herzukommen?«
    »Jetzt gleich?«
    »Die Zeit läuft uns davon. Am besten wär’s, wenn wir uns in Richfield treffen und gleich den bürokratischen Kram erledigen. Ich stelle dich den Anzugträgern vor, es gibt ein kurzes formelles Briefing, du musst ein paar Formulare unterzeichnen und bekommst einen befristeten BCI-Ausweis. Was hältst du davon?«
    Auf einmal bin ich ganz aufgeregt. »Ich muss hier noch schnell ein paar Sachen regeln. Wann ist das Briefing?«
    »Sobald du hier bist. Ruf mich an.«
    Ich will ihm gerade eine ungefähre Zeit nennen, da hat er schon aufgelegt. So sitze ich ein paar Sekunden einfach nur da, dümmlich lächelnd und mit frischer Energie dank der Aussicht, für so eine angesehene Behörde zu arbeiten. Doch in Wirklichkeit hat mein Gefühl mehr mit John Tomasetti zu tun als mit dem BCI. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich nicht, nur dass es ehrlich ist, und ich beschließe, es nicht weiter zu analysieren.
    Stattdessen überlege ich, was vor meiner Abfahrt noch alles zu erledigen ist. Ich muss mit dem Bürgermeister reden, mein Team informieren und dafür sorgen, dass jemand meine Schichten übernimmt. Was nicht einfach wird, da wir in Painters Mill chronisch unterbesetzt sind. Aber Skid – für den ich letzte Nacht eingesprungen bin – kommt heute zurück, und ich hätte laut Plan das Wochenende frei.
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