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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut
Autoren: Linda Castillo
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Vorschriften so satt.«
    Dass ich noch mal den Drang verspüren würde, die amische Lebensweise zu verteidigen, überrascht mich selbst. Doch da sich das aus meinem Mund heuchlerisch anhören würde, verkneife ich mir jeden Kommentar. »Das solltest du mit deinen Eltern diskutieren!«
    »Als ob die das verstehen würden.«
    »Dann vielleicht der Bischof –«
    Sie lacht schallend. »Bischof Troyer ist so was von hirnlos!«
    »Sich zu prügeln ist hirnlos. Sieh dich doch an. Wie kannst du dich nur so gehenlassen? Dein Auge wird ja schon blau.«
    Von meinen Worten gänzlich unbeeindruckt, sagt Sadie mit leiser Stimme: »Es ist mir ernst mit dem Weggehen, Katie.«
    Plötzlich habe ich das Gefühl, auf Zehenspitzen durch ein Minenfeld zu gehen und nicht zu wissen, wo ich hintreten soll. »Ich bin nicht die Richtige, mit der du dieses Thema diskutieren solltest.«
    »Warum? Weil du selbst weggegangen bist?«
    »Weil ich Polizistin bin – und das gehört nicht zu meinen Aufgaben. Verstanden?«
    Sie hält meinem Blick stand. »Ich denke schon lange darüber nach.« Wieder senkt sie die Stimme. »Ich passe nicht dazu. Mir gefallen all die Dinge, die mir nicht gefallen dürften. Musik und … Kunst. Ich will Bücher lesen und Filme gucken und an Orte reisen, die ich noch nie gesehen habe. Ich will aufs College gehen und …«
    »Das kannst du alles machen, auch ohne dass du dich prügelst und in Schwierigkeiten gerätst«, sage ich.
    »Aber nicht, wenn ich amisch bleibe.«
    »Du bist zu jung, um so eine wichtige Entscheidung treffen zu können.«
    »Ich hasse es, amisch zu sein.«
    »Du weißt nicht, was du willst.«
    »Ich weiß genau, was ich will!«, kontert sie. »Ich will Kleider entwerfen, englische Kleider für Frauen. Und ja, es klingt wie ein dummes Hirngespinst, oder wie Datt gerne sagt: Teufelszeug«, wobei sie den Ton ihres Vaters ziemlich gut trifft. »Er versteht mich nicht, Katie. Ich kann so gut nähen, frag meine Mamm . Sie weiß genau, dass ich erfolgreich sein könnte, aber sie will es nicht zugeben.«
    Sie zeigt auf das Tanktop, das sie trägt. »Das hab ich selbst genäht! Sieh’s dir an, es ist wirklich schön. Aber Mamm erlaubt mir nicht, es zu tragen. Ich darf es nicht mal im Carriage Stop verkaufen. Sie sagt, es schmücke zu sehr und sei somit ein Ausdruck von Stolz.«
    Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus, stolpern und fallen übereinander, als wäre der unsichtbare innere Damm, der sie die ganze Zeit in Schach gehalten hatte, gebrochen. Vage erinnere ich mich, dass meine Schwester Sarah mir vor Monaten einmal von Sadies Nähkünsten erzählt hat. Damals interessierte mich das wenig, weil meine Schwester und ich unsere eigenen Probleme haben. Doch jetzt fällt mir wieder ein, wie Sarah geschwärmt hat, dass Sadie schon ein Dutzend Quilts in einem der Touristenläden der Stadt verkauft hatte und die Nachfrage offensichtlich groß ist. Ich finde es sträflich, so eine Passion nicht zu fördern, denn viel zu viele Menschen gehen ohne jede Leidenschaft durchs Leben. Doch diese Sichtweise ist bei den Amischen natürlich nicht willkommen.
    »Und, verfrachtest du mich jetzt ins Gefängnis?«, fragt sie, wobei ihr die Aussicht ein bisschen zu sehr zu gefallen scheint.
    »Ich verfrachte dich nach Hause.«
    Seufzend, als wäre ihr das Gefängnis lieber gewesen, greift Sadie in die Tasche, zieht ein Päckchen Zigaretten heraus und zündet sich eine an. Doch die Art und Weise, wie sie es tut, verrät, dass sie nur Gelegenheitsraucherin ist.
    »Mach sie aus«, sage ich ihr.
    »Warum, Katie? Du rauchst doch selber, ich hab’s gesehen. Auf dem Graebhoff. Warum darf ich dann nicht auch?«
    »Weil du fünfzehn bist und es illegal ist.« Ich nehme ihr die Zigarette ab und werfe sie ins Wasser.
    Dem Blick ihrer hellen Augen, die mich jetzt fixieren, scheint nichts zu entgehen. Ich weiß nicht, warum, doch es verunsichert mich, dass dieses Mädchen offenbar zu mir aufsieht. Sie kommt mit Dingen in Berührung, von denen sie besser nichts wissen sollte, und hat Wünsche, die sich, wenn sie amisch bleibt, niemals erfüllen werden. Ihr Kummer ist vorprogrammiert, und ich will nichts damit zu tun haben.
    »Ich will nicht nach Hause«, erklärt sie mir.
    »Dann habe ich jetzt eine Neuigkeit für dich, Sadie: Man kriegt nicht immer, was man will.« Ich werfe einen Blick zurück über die Schulter. Bis auf zwei Jugendliche sind alle gegangen. Glock spricht noch mit Angi McClanahan. Sie flirtet mit ihm, will
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