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Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)

Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: C. S. Forester
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Resignation hatte sich auf sie herabgesenkt, dieselbe, die im Laufe der Geschichte schon oft genug Märtyrer auf dem Weg zum Scheiterhaufen begleitet hatte. Mrs Hardys Klopfen und Millicents Not waren die letzten Halme gewesen in dem Bündel an Qualen, die sie ertragen hatte. Sie konnte es nicht mehr ertragen. Sie sah sich nach ihren Kleidern um in dem Zimmer. Diese neu erworbene geistige Klarheit erstreckte sich allerdings nicht auf banale Einzelheiten. Sie tastete herum, als sie ihre Unterwäsche zusammensuchte; dann drehte sie sich wie abwesend zum Handwaschbecken herum, und beim Anblick ihres Spiegelbildes griff sie sich instinktiv ins Haar.
    »Was wirst du tun?«, flüsterte Millicent, die sie mit wildem Blick ansah. Ihre berufliche Gelassenheit war jetzt verschwunden.
    »Ich weiß nicht«, sagte Marjorie. Sie lachte, ein wenig zu hoch. Vielleicht war sie hysterisch; vielleicht war sie in diesem Augenblick wahnsinnig. »Diese Frau hat es für mich entschieden. Ich kann das alles nicht mehr ertragen.«
    Sie wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser und trocknete es mit einem Handtuch ab. Fast nackt griff sie unwillkürlich nach ihrer Handtasche und lachte noch einmal. Millicent sah sie fasziniert an, als sie sich das Unterhemd über den Kopf zog und in ihr Kleid schlüpfte.
    »Marjorie«, sagte sie, »du wirst dich doch nicht ... doch nicht ...«
    Millicent fürchtete, sie könnte sich umbringen, doch der Gedanke lag Marjorie so fern, dass selbst Millicents unbeendete Frage sie auf keine Idee brachte.
    »Ich werde das alles hinter mir lassen«, sagte Marjorie. »Sie können machen mit mir, was sie wollen. Es ist mir egal.«
    Jetzt zog sie sich, auf der Kante des unordentlichen Bettes sitzend, die Strümpfe an.
    »Die Kinder«, sagte Marjorie nachdenklich, während sie es tat. »Mir tun die Kinder so leid.«
    Es lag ein tief empfundenes Mitleid in ihrer Stimme, als sie sprach, von Herzen kommend und ernsthaft, und dennoch unmütterlich. Marjorie fühlte sich nicht mehr dieser Welt angehörig.
    »Ich kann mich um die Kinder kümmern«, sagte Millicent eifrig. »Wenn ... wenn sie jemanden brauchen, der sich um sie kümmert. Ich sorge dafür, dass es ihnen gut geht. Ich werde lieb sein zu ihnen.«
    »Ja«, sagte Marjorie. »Du hast Anne immer liebgehabt. Du hast sie sogar lieber gemocht als Derrick. Du würdest ihnen eine gute Mutter sein. Du kennst dich mit Kindern aus, obwohl du nie selbst eins gehabt hast.«
    Mit ihrem Hut in den Händen stand sie auf.
    »Marjorie!«, rief Millicent noch einmal. »Was wirst du tun?«
    Die einzige Antwort, die sie hatte, war dasselbe Lachen wie vorhin. Vielleicht war es die Lösung aller Anspannung infolge ihres neuen geistigen Zustands, die Marjorie lachen ließ, auch wenn ihr Lachen schrill und seelenlos klang.
    »Ich begleite dich«, sagte Millicent verzweifelt, und das rührte an etwas in Marjorie, das sie ein wenig menschlicher erscheinen ließ.
    »Nein!«, rief sie. »Das lasse ich nicht zu. Du hattest so schon genug Schwierigkeiten durch mich.«
    Millicent griff nach ihrer Hand, doch Marjorie schüttelte sie ab, entwand sich ihrem Griff, schlängelte sich an ihr vorbei zur Tür und lachte noch einmal triumphierend.
    »Auf Wiedersehen, Schatz«, sagte sie. Und wieder war ihre Stimme getränkt von jener unmenschlichen Zärtlichkeit. »Auf Wiedersehen, meine Liebe. Du bist lieb, Mill, wirklich sehr lieb. Auf Wiedersehen.«
    Sie schloss die Tür auf und trat auf den Hausflur hinaus, während Millicent sie nur hilflos mit offenem Mund ansah. Es dauerte fünf Sekunden, bis sie ihr hinterherrennen konnte, und in diesen fünf Sekunden war Marjorie schon verschwunden.
    Draußen auf der Straße atmete Marjorie an diesem späten Sonntagvormittag tief und frei durch und hob ihr Gesicht gen Himmel. Es fiel ein leichter Regen; doch sie bemerkte ihn kaum. Sie war jetzt frei, frei von allen Befürchtungen und Zweifeln. Es tat gut, auf der Straße zu sein und die frische Luft zu atmen nach der Zeit in Millicents stickigem Zimmer, die ganze lange Straße hinabzusehen, statt den Blick von vier engen Wänden begrenzt zu haben. Das war alles, was sie im Augenblick wollte. Sie nahm nichts bewusst wahr, nur das freudige Gefühl darüber, mit flottem Schritt dahingehen und tief durchatmen zu können. Jetzt lenkte sie kein bewusster Gedanke mehr. Sie war ein ganz den Instinkten ausgelieferter Automat, und diese Instinkte führten sie unweigerlich nach Hause. Fast zehn Jahre lang hatte sie in dem Haus im
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