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Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)

Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: C. S. Forester
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Tee anbieten.
    »Es geht um die Kinder!«, sagte Marjorie.
    »Ich werde mich über nichts dergleichen unterhalten, bis du dein Frühstück gegessen hast«, erwiderte Millicent fest. »Toast oder Butterbrot?«
    Millicent hielt an den Alltagsdingen fest. Das hatte ihre Fürsorge-Arbeit in der Fabrik sie gelehrt. Ob sie es mit einem gequetschten Finger oder einem gebrochenen Herzen zu tun hatte, die erste Abhilfe, die sie herbeischaffte, war immer eine Tasse Tee, eingebettet in ein wenig Small Talk. Das gab Zeit zum Atemholen, und die Vernunft konnte wieder Fuß fassen. Und genau das tat sie auch jetzt instinktiv; obwohl sie gegen das schreckliche Gefühl ankämpfen musste, dass sie sich diesmal in einer Sackgasse befand, aus der es überhaupt keinen Ausweg gab. Sie spielte tapfer auf Zeit, denn sie konnte keine Lösung für Marjories Schwierigkeiten entdecken außer einer, und die fürchtete sie.
    »Ich finde ja«, plauderte sie und hielt die Milchflascheins Licht, »die Milch ist heutzutage nicht mehr annähernd so gut wie zu dem Zeitpunkt, als sie damit anfingen, sie in Flaschen abzufüllen. Die Sahneschicht obendrauf ist nicht einmal mehr halb so dick. Ist dir das auch schon aufgefallen?«
    Es war ein feinsinniger Köder. Zehn Jahre hausfraulicher Tätigkeiten verschafften sich ihre Geltung. Marjorie ließ sich zu einem Gespräch über Hauswirtschaft verleiten. Ein paar Minuten lang unterhielten sie sich ganz vernünftig, und das Geklapper der Teetassen hob die Gemütlichkeit noch hervor.
    Und dann brachte ein plötzliches Klopfen an der Tür die empfindliche Blase zum Platzen.
    »Was ist das?«, keuchte Marjorie. Sie war augenblicklich totenbleich geworden.
    »Oh, nichts«, sagte Millicent. Sie hatte auch Angst, doch sie zwang sich, sich dem Unausweichlichen zu stellen. Etwas mühsam beruhigte sie sich und ging dann stoisch an die Tür und öffnete sie.
    »Oh, guten Morgen, Mrs Hardy«, sagte sie. Die Hauswirtin trat mit einem raschen Schritt ins Zimmer, und Marjorie duckte sich im Bett. Mrs Hardy ließ ihren Blick durch das ganze Zimmer schweifen und sortierte sie in die sonstige Unordnung mit ein.
    »Ich muss Sie darauf aufmerksam machen«, sagte sie eisig, »dass Sie bestimmten Regeln zugestimmt haben, Miss Dunne. Eine Bedingung des Mietvertrags hier lautet, dass es nur der Mieterin erlaubt ist, in ihrem Ein-Zimmer-Apartment zu schlafen. Wenn Sie wollen, dass bei Ihnen Freundinnen übernachten können, müssen Sie eins mit zwei Zimmern nehmen.«
    »Oh, das habe ich vergessen«, erwiderte Millicent. »Es tut mir leid, Mrs Hardy.«
    »Sorgen Sie dafür, dass es nicht noch einmal vorkommt, Miss Dunne.«
    Mrs Hardy machte einen würdevollen Abgang, und Millicent schloss die Tür hinter ihr hastig wieder ab.
    »Glaubst du, sie hat mich gesehen?«, fragte Marjorie. »Geht sie die ... die ...«
    Mit hysterischem Gestikulieren forderte Millicent sie zum Schweigen auf und verhinderte so, dass Marjorie noch mehr sagen konnte. Millicent wusste, dass irgendwer an der Tür gelauscht und Mrs Hardy berichtet haben musste, dass sie ihren Mietvertrag verletze und jemand bei sich übernachten lasse, und vielleicht lauschte in diesem Moment Mrs Hardy selbst an der Tür. Sie zitterten beide.
    Marjorie sah, wie erschüttert Millicent war, sah ihre bleichen Wangen und zitternden Lippen, und dieser Anblick klärte ihre Gedanken wie ein sich auflösender Nebel eine Landschaft. Das Kartenhaus der Illusion ganz alltäglicher Sicherheit, das sie in den fünf Minuten vor Mrs Hardys Klopfen aufgebaut hatte, war eingestürzt; aber nun war es für Marjorie auch nicht mehr als nur der Einsturz eines Kartenhauses. Sie hatte keine Tränen mehr, die sie über den Ruinen vergießen konnte. Ihr konnte nichts Schlimmeres mehr widerfahren als das, was ihr schon widerfahren war. Sie warf die Bettdecke zur Seite und stand auf.
    »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich hätte nicht hierherkommen sollen. Es war nicht fair dir gegenüber. Du willst mit so einer Frau wie mir nichts zu tun haben.«
    Marjorie hatte sich bisher auf verschiedene Weise selbst gesehen, als Marjorie Grainger, als Mrs Edward Grainger, als Annes und Derricks Mutter, als Mrs Clairs Tochter. In den Tagen der Flucht war sie für sich selbst mal das eine, mal das andere gewesen. Jetzt sah sie sich selbst klar unddeutlich als »so eine Frau«, als eine Mordverdächtige, eine Ehebrecherin. Es machte ihr wahnwitzigerweise überhaupt keine Angst mehr, was sie ihr antun könnten. Die Ruhe der
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