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Toedliche Hoffnung

Toedliche Hoffnung

Titel: Toedliche Hoffnung
Autoren: Tove Alsterdal
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kamen. Heute kommen die Leute von der Uni und denken, im Journalismus gehe es nur um Stil, darum, dem Text seine Handschrift zu geben, draußen herumzulaufen und ein bisschen an der Wirklichkeit zu schnuppern.«
    Ich schielte auf die Uhr. Es war Viertel nach elf in New York, bald Abend in Paris. Ich musste ins Theater zurück.
    »Wenn ich Sie richtig verstehe«, sagte ich kühl, »haben Sie Patrick nach Europa geschickt und ihm einen Vorschuss gezahlt, wissen aber kaum etwas über die Story und haben nicht vereinbart, wann er sie abgeben soll. Geht das bei Ihnen immer so zu?«
    »Nein, nein, wir haben ihm keinen Vorschuss gezahlt.«
    Mir gefror das Blut in den Adern. Die Zeit blieb stehen, vor dem Fenster schlichen die Menschen in Zeitlupe vorbei, hielten die belegten Brötchen in ihren Händen wie Waffen. Ich starrte Evans an, brachte jedoch kein Wort heraus.
    »Vorschüsse werden nicht mehr bewilligt, nicht für Freelancer, so lautet die knallharte Firmenpolitik. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in jungen Jahren meinen Redakteur anrief und um einen Vorschuss bat, als ich mich mit meiner ersten Frau verlobte, damit ich die Ringe kaufen konnte. Jetzt streichen sie alles, was diesen Job einmal so angenehm machte.«
    Er stopfte seine Zeitungen in die Aktentasche und erhob sich.
    »Ich bin mir sicher, dass er sich bald meldet. Auf Cornwall ist Verlass, er liefert immer.«
    Ich stand ebenfalls auf. Der Boden schwankte unter meinen Füßen. Patrick hatte mich angelogen. Das war noch nie vorgekommen. Oder vielleicht doch?
    »Aber falls er sich nicht meldet«, fragte ich und räusperte mich, »ich meine, rein theoretisch – wie würde die Zeitung dann reagieren?«
    »Er ist ja nicht direkt in unserem Auftrag unterwegs, also hat die Zeitung in dieser Angelegenheit rein formal keine Verantwortung, wenn Sie das meinen. Als Freiberufler haftet er selbst für alle Risiken.«
    Ich wurde von hinten angerempelt, als sich zwei Studenten an unseren Tisch quetschten, sie rückten geräuschvoll ihre Bücher und Latte-Tassen hin und her.
    »Das gehört nun mal zum Freiberuflerdasein dazu, nicht wahr?«, sagte Evans. »Man will frei sein, niemanden vor sich haben, der bestimmt, wann man morgens aufsteht oder einen zu Routinejobs losschickt. Manchmal vermisse ich diese Zeit wirklich.«
    Er lachte und schlang seinen glänzenden Schal ein weiteres Mal um den Hals.
    »Wenn er sich meldet, dann richten Sie ihm doch bitte aus, dass ich Ende November noch Platz habe.«
    Ich biss die Zähne zusammen. In seinen Augen war ich nur eine hysterische Ehefrau, die beruhigt werden musste. Damit die Jungs weiterhin vor Ort recherchieren konnten. Phnom Penh! Du kannst mich mal, dachte ich.
    Evans war gerade dabei, sein Portemonnaie in die Innentasche zu stecken, als er plötzlich innehielt.
    »Es gibt einen Stringer in Paris, eine Informantin, auf deren Dienste wir manchmal zurückgreifen«, sagte er und blätterte zwischen seinen Visitenkarten. »Wenn dort plötzlich wieder irgendein Vorort in Brand gesteckt wird, rufen wir sie an.« Ihm fielen einige Visitenkarten aus der Hand, und ich sah zu, wie sie auf den Boden segelten. Heb sie selbst auf, dachte ich.
    »Sie ist eine Korrespondentin für den Bereich Politik.« Er bückte sich, um die verstreuten Visitenkarten aufzusammeln. »Ich glaube, dass ich Patrick ihren Namen auch gegeben habe. Verdammt, ich finde sie nicht, aber ich habe den Namen im Computer.« Er gab mir seine eigene Karte. »Mailen Sie mir einfach, wenn Sie die Kontaktdaten brauchen.«
    »Klar.« Ich pfiff auf die Höflichkeitsfloskeln, trat vor ihm durch die Glastür und ging rechts die Achte Avenue hinunter. Bis zum Theater in Chelsea waren es achtunddreißig Straßen, und ich lief die gesamte Strecke zu Fuß. Ich brauchte dringend Sauerstoff.
    »In der Meeresbucht steht eine grüne Eiche mit einer goldenen Kette um den Stamm.« Die Tänzerin auf der Bühne ließ die Replik schweben, ihre Stimme war zart wie ein Geist oder ein Traum.
    Die anderen stimmten in den Text ein und wiederholten die Worte in einem rhythmischen Chor, während Mascha ihre Sehnsucht im Tanz ausdrückte. Auf der Bühne standen die drei klobigen Stühle aus der Zarenzeit. Zwei von ihnen hatte ich aus einem Privatmuseum in Little Odessa geliehen, danach hatte ich wochenlang die halbe Ostküste abgrasen müssen, bis ich schließlich den letzten in Boston fand.
    Ich ließ mich lautlos neben Benji im Zuschauerraum nieder und registrierte, dass sich die Mühe
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