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Toedliche Blumen

Toedliche Blumen

Titel: Toedliche Blumen
Autoren: Wahlberg
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Telefon klingelte. Eigentlich hatte er keine Zeit dranzugehen. Besonders dann nicht, wenn ihn schon wieder jemand um einen Gefallen bitten wollte. Wie die alte Dame aus der Nachbarwohnung. Er hatte ihr heute Nachmittag, als er von seiner Shoppingrunde nach Hause kam, geholfen, ein Regal im Flur aufzustellen. Das Ganze war relativ schnell erledigt, doch dann hatte er sich noch zu einer Tasse Kaffee in ihrer Küche überreden lassen, wozu ihm ein tadellos frisches Stück Toscatorte aufgedrängt wurde, das sie natürlich eigens für ihn gekauft hatte. Die Dame war einsam. Eine gewisse Einsamkeit kann man spüren. Ihr Sohn hatte zwei linke Hände, wenn er es recht verstand. Ein hoch gebildeter und zu nichts zu gebrauchender Typ, der nicht einmal einen Nagel für seine teuer erstandenen Gemälde in die Wand schlagen konnte, sondern sich gezwungen sah, einen Handwerker kommen zu lassen.
    Das Klingeln hörte nicht auf. Er ging in den dunklen Flur und griff gleichgültig nach dem Hörer. Das schwache Abendlicht fiel durch das Wohnzimmerfenster auf den Linoleumbelag.
    »Hallo! Wie gut, dass ich dich erreiche.«
    Alicias Stimme. Vielleicht fällt das Kostümfest aus, dachte er optimistisch.
    »Könnte ich dich um einen winzigen Gefallen bitten?«, fragte sie und klang dabei wie eine schnurrende Katze. Er stöhnte leise, während er förmlich vor sich sah, wie sie die Lippen spitzte, unschuldig und gleichzeitig flehend, um ihn zu überreden.
    Er war immer hilfsbereit, aber es gab auch Grenzen, selbst bei ihm. Und er wusste, weshalb er sich wehrte. Die Familienfalle war dabei zuzuschlagen. Es ging bedeutend schneller, als er gedacht hatte, und deshalb machte er reflexartig einen Rückzieher.
    »Es kommt drauf an«, antwortete er vage, um Zeit zu gewinnen.
    »Ich bin beim Friseur und werde nicht so schnell fertig, wie ich gedacht habe.«
    Herrgott! Warum putzt sie sich dermaßen für eine schnöde Maskerade heraus?, dachte er leicht panisch. Der Abend verlor jetzt jeglichen Reiz.
    »Äh«, brachte er hervor.
    »Bevor ich ging, habe ich eine Maschine Wäsche angestellt«, setzte sie hinzu, und er glaubte, nicht richtig zu hören. Waschmaschine?
    »Aber jetzt, wo ich später dran bin, wollte ich fragen, ob du so nett sein könntest, in die Waschküche runterzugehen und die Wäsche in den Trockner zu werfen?«
    Das wollte er definitiv nicht. Die Warnsignale schrillten förmlich in seinem Kopf.
    »Bitte«, säuselte sie mit einer lockenden Stimme, die direkt in seine Hoden fuhr.
    Er konnte einfach nicht Nein sagen, konnte sich jetzt keinen Rückzieher leisten. Denn dann würde Alicia ihm den Zugang zu ihrem Körper verweigern, jedenfalls in dieser Nacht, und es würde garantiert zum Streit kommen. Das konnte er in diesem Moment nicht auch noch bewältigen. Aber beim nächsten Mal sag ich, verdammt noch mal, Nein, beschloss er und räusperte sich.
    »Okay«, hörte er sich mit belegter Stimme sagen, während sich die freie Hand zum Schritt vortastete.
     
    Veronika Lundborg stand mitten in dem Gang, in dessen Regalen sich auf der einen Seite Konserven, Gewürze und Soßen auftürmten und auf der anderen Kaffee, Tee und Kakao. Als sie sich aufrichtete, wirkte sie größer als die einhundertachtundsiebzig Zentimeter, die sie maß. Ausdauernd betrachtete sie die Waren, um zu rekapitulieren, was sie brauchte. Einen Einkaufszettel besaß sie nicht. Ihre Gedanken schweiften ab. Es war Freitagnachmittag. Sie atmete tief durch und schaute in ihren Einkaufswagen.
    An Oregano und Kaffee hatte sie sich jedenfalls erinnert. Und Haushaltspapier, eine Riesenpackung. Wie stand es noch gleich um das Toilettenpapier? Sie blinzelte, legte die Stirn in Falten und meinte, vor ihrem inneren Auge eine Reihe von Extrarollen zu erblicken, die sich auf dem Boden der Vorratskammer stapelten. Also schob sie ihren Wagen weiter.
    Jedes Mal, wenn sie ihre Füße in den Bereich innerhalb der automatischen Schiebetüren eines überdimensionalen Supermarktes setzte, erlitt sie einen abrupten Energieverlust, und dennoch kaufte sie immer wieder dort ein. Es war bequem – ein großes Sortiment an einem einzigen Ort – und manchmal sogar billiger, wenn man aufmerksam war. Man musste eben das Unangenehme mit dem Angenehmen verbinden. Gerade war sie auf der Suche nach dem Regal mit den Deodorants. Im Übrigen trugen viele Faktoren dazu bei, dass einem die Ausdauer im Supermarkt schwand: der Mangel an Tageslicht, eine enorme Deckenhöhe, die eher an ein Lager als ein
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