Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens
Autoren: barcelo
Vom Netzwerk:
Mörder außerhalb von Lenas engstem Freundeskreis suchen müssen. Und was konnte dann das Motiv sein? Geld sicher nicht. Sie hatte lediglich ein paar Ersparnisse auf dem Konto und die Wohnung, die nun ihr Sohn erbte. Liebe? David war seit Jahren im Polizeidienst und hatte schon viel erlebt. Er war nicht so blauäugig zu glauben, dass man nicht aus Liebe zum Mörder werden konnte, aber in Lenas Fall gab es darauf gar keine Hinweise. Rache? Wofür? In ihrer Jugend, als sie noch Magda hieß, war sie viel gereist und hatte viele Bekannte gehabt, aber Ana zufolge tauschte sie zuletzt nur noch E-Mails mit fernen Freunden und bekam nie Besuch. Und dass jetzt auf einmal jemand aus ihrer Vergangenheit aufgetaucht war, um mit ihr abzurechnen, war allzu unwahrscheinlich
    Auf alle Fälle brauchte er Einblick in ihre Korrespondenz, also notierte er, dass er seinen Kollegen Arias beauftragen musste, die Mails auf ihrem Rechner durchzugehen und nachzusehen, ob sie sich regelmäßig in irgendwelche Chats eingeloggt hatte oder im Netz auf Partnersuche gewesen war. Dank der weitgehenden Anonymität im Internet gerieten in letzter Zeit viele in dunkle Machenschaften, die zunächst völlig harmlos aussahen. Aber wenn Lena ein Problem gehabt hätte, wäre sie damit zu ihren Freundinnen gegangen. Teresa wüsste es, denn sie wusste alles, was die Mädels betraf. Vor ein paar Jahren hatte sich einer der schlimmsten Ehekräche, die er je mit Ana gehabt hatte, ebendaran entzündet, dass Ana Teresa etwas erzählt hatte, das ihm viel zu intim schien, um es mit irgendjemandem zu besprechen.
    Als Machado Teresa befragt hatte, hatte sie allerdings ausgesagt, Lena habe keine Probleme gehabt, sie sei sogar besonders glücklich gewesen, weil ihr Sohn, nachdem er seine Dissertation fertiggestellt und einen unbefristeten Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, nun auch verheiratet war, mit einer Chinesin, wie es schien, und Kinder haben wollte. Natürlich konnte es sein, dass sie log. Sie könnte den guten Ruf ihrer Freundin schützen wollen, weil sie wusste, dass diese sich auf eine unsaubere Sache eingelassen hatte. Aber was sollte das sein?
    Es ergab überhaupt keinen Sinn.
    Schloss man die Beteiligung eines Unbekannten aus, hatte, so wie die Dinge lagen, nur Rita die Möglichkeit zu dem Mord gehabt. Wenn sie sehr schnell gewesen wäre, hätte sie gegen sieben in Lenas Wohnung sein können – nach dem Blumenladen und bevor sie den Wein kaufte –, um dann um kurz vor acht zurückzukommen und die Unschuldige zu mimen. Aber warum?
    Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an Lena und dem Eintreffen von Rita Montero geben musste. Ana und die anderen benahmen sich seltsam, seit diese Frau nach dreißigjähriger Abwesenheit wieder im Dorf aufgetaucht war; und wenngleich er anfangs darin nur die natürliche Aufgeregtheit gesehen hatte, einer Freundin aus der Schulzeit wiederzubegegnen, aus der obendrein eine berühmte Filmregisseurin geworden war, beschlich ihn allmählich das dumpfe Gefühl, dass durch Ritas Ankunft in ihnen allen etwas in Unruhe geraten war. Bloß was?
    Wenn er nur wüsste, was genau sich in den letzten zwei Wochen abgespielt hatte …, was zwischen den Frauen von Anas Clique Gesprächsthema gewesen war, dann hätte er wenigstens eine ungefähre Richtung für seine nächsten Schritte. Er musste herausfinden, warum Rita hergekommen war, worüber sie geredet hatten, auf welches Geheimnis die Notiz anspielte, die Lena oder wer auch immer auf ihrem Bildschirm hinterlassen hatte. Vielleicht brachte ihn das auch nicht weiter, aber mehr hatte er im Moment nicht.
    Er stand auf, knüllte den Zettel mit den Pfeilen zusammen, sah, dass er soeben seine Notizen in den Papierkorb geworfen hatte, holte den Zettel wieder heraus, strich ihn glatt, verließ das Büro und machte sich auf die Suche nach Machado, damit der sämtliche Freundinnen Lenas noch einmal befragte.
     

Mai/Juni 1974 – Mai/Juni 2007
     
    Nos tocaba crecer y crecimos, vaya si crecimos,
     
    cada vez con más dudas, más viejos,
     
    más sabios, más primos.
     
     
    Wir mussten wachsen und wuchsen, und ob wir wuchsen,
     
    mit immer mehr Zweifeln, immer älter, immer weiser,
     
    immer angeschmierter.
     
     
    Joaquín Sabina, Resumiendo
     
     

28. Mai 1974
     
    »Die Gruppe ist ja doch sehr geschrumpft«, bemerkt Don Javier mit bedächtigem Nicken und sieht die wenigen Mädchen an, die während der Pause im Englischseminarraum
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher