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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft
Autoren: Bernard Glemser
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heutzutage gang und gäbe zu sein; selbst wenn man sich für die Stellung eines Straßenfegers bewirbt, muß man die Geschichte seines Lebens erzählen und psychiatrische Tests über sich ergehen lassen und sagen, woran einen ein Tintenklecks erinnert; und wenn das nicht nach Gehirnwäsche riecht, dann weiß ich nicht, was sonst. Und zu guter Letzt wartete dieses Magna-Formular mit einer geradezu unbezahlbaren Frage auf, bei der mir die Tinte eingetrocknet war! Geben Sie kurz an, wie Sie Ihre Freizeit verbringen. Das ist das Allerletzte, das ist geradewegs aus Das Kapital, hatte ich gedacht, als ich das gelesen hatte, und mit dem Gedanken gespielt, eine schnippische Antwort darauf zu geben: Wie ich meine Freizeit verbringe, kann unmöglich kurz wiedergegeben werden. Oder: Dies betrifft nur mich und meinen Schöpfer. Oder: Ich bin immer aufgeschlossen für interessante Vorschläge. Schließlich hatte ich mir gesagt: zum Teufel damit, und geschrieben: »Lesen und Schwimmen.« Langweilig, aber sicher. Kein Bürokrat konnte dagegen etwas einzuwenden haben.
    Mr. G. griff also nach diesem Fragebogen und ging ihn mehr oder weniger aufs Geratewohl durch, ich konnte nicht erraten, worauf er eigentlich hinaus wollte.
    »Ernsthafte Krankheiten haben Sie nicht gehabt, Miß Thompson?«
    »Nein, Sir.«
    »Sie sind ein Einzelkind? Keine Schwestern, keine Brüder?«
    »Ganz recht, Sir.«
    »Ich sehe, Sie waren ein Jahr lang auf dem Bryn Mawr College. Warum nur ein Jahr? Waren die Anforderungen zu hoch?«
    »Oh, nein. Ich hab’ einfach aufgehört.«
    »Warum?«
    »Es langweilte mich schrecklich. Ich wollte hinaus in die Welt.«
    »Aber Sie sind viel gereist. Ich sehe, Sie waren in Kanada, in Mexiko, England, Frankreich, Italien und so weiter. Waren Sie in all diesen Ländern, nachdem Sie abgegangen waren vom College?«
    »Nein, Sir. Vorher. Während der Ferien.«
    »Allein? Oder mit Ihrer Familie? Oder mit Freunden?«
    »In Mexiko war ich allein. In allen anderen Ländern war ich mit meinem Vater. Er reiste sehr viel.«
    Mr. Garrison vertiefte sich sekundenlang in den Fragebogen. »Ich sehe, Sie haben den Beruf Ihres Vaters nicht angegeben. Das brauchen Sie auch nicht, wenn Sie nicht wollen. Es ist nicht allzu wichtig — nur für unsere Unterlagen.«
    »Mein Vater ist tot, Sir. Darum habe ich diese Frage nicht beantwortet.«
    »Oh, das tut mir leid.«
    »Er war Schriftsteller und schrieb Reisebücher. Daher hatte ich so viel Gelegenheit zum Reisen. Er hat mich hin und wieder mitgenommen.«
    »Reisebücher?« sagte Mr. Garrison. »Hm, sprechen Sie etwa von Gregg Thompson?«
    »Ja.«
    Mr. Garrison wandte sich an Mrs. Montgomery, offensichtlich entzückt. »Haben Sie jemals eines der Reisebücher von Gregg Thompson gelesen?«
    Sie hatte eine ruhige, kultivierte Stimme: »Aber ja. Viele. Ich finde sie wunderbar.«
    »Ich auch«, sagte Mr. Garrison. »Einfach Klasse. Das war ein Talent!«
    Ich hätte am liebsten geheult.
    Mr. G. wechselte das Thema. »Sie sprechen Französisch, Italienisch und Spanisch. Fließend?«
    »Ziemlich.«
    »Reicht es, um eine Unterhaltung zu führen?«
    »O ja. Solange sie nicht zu technisch ist.«
    »Wie kommt es, daß Sie so viele Sprachen sprechen, da Sie doch nur ein Jahr lang auf dem College waren?«
    »Ich kann mir nicht helfen. Mit Sprachen geht es mir nun mal ganz komisch. Sie gehen mir einfach ein.«
    »Also mehr oder weniger aufgeschnappt, während Sie mit Ihrem Vater reisten?«
    »Ja, Sir. Zum größten Teil jedenfalls.«
    »Ich verstehe. Übrigens, lesen Sie viel?«
    »Ja, Sir. Ich lese sehr viel. Ich habe schon immer viel gelesen.«
    »Ach ja, hier steht es — Ihre freie Zeit gehört dem Lesen und dem Schwimmen. Sie schwimmen also auch viel?«
    »Ja, wann immer es geht. Ich find’ es herrlich.«
    »Sie meinen, im Wasser umherplanschen und sich mit Ihren Freunden amüsieren?«
    »O nein. Wie gräßlich. Ich meine richtiges Schwimmen.«
    »Was heißt das? Richtiges Schwimmen?«
    »Langstreckenschwimmen und so.«
    »Nun kommen Sie mir bloß nicht damit, Sie seien eine von denen, die den Ärmelkanal überqueren?«
    Ich mußte lachen. »Nicht ganz. Aber als mein Vater noch lebte, hatten wir in Kanada eine kleine Hütte an einem See, und ich schwamm jeden Morgen über den See hin und zurück. Es waren immerhin gut dreieinhalb Meilen.«
    »Allein?«
    »Meistens. Das ist ja das Gute beim Schwimmen, daß man allein ist.«
    Zum erstenmal wurde seine Stimme düster: »Miß Thompson, Sie werden nicht sehr
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