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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft
Autoren: Bernard Glemser
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das Erstaunlichste auf der ganzen Welt — es funktioniert immer. Man nimmt einen Luxuseisenbahnwaggon, klebt Flügel an, stopft einen Motor hinein und er fliegt, er fliegt wirklich und bleibt in der Luft. Es ist einfach ein Wunder.
    Ich könnte mich heute noch hinsetzen und ohne Mühe jede einzelne Sekunde dieses Starts zurückrufen, aber das wäre für niemanden von großem Interesse, es sei denn für einen Menschen, der so versessen aufs Fliegen ist wie ich. Die grundlegende Frage ist und bleibt: Thompson, was ist denn schon daran, an den Flugzeugen und am Fliegen, daß es dich in einem solchen Maße aufwühlt. Und die Antwort ist, ja zum Kuckuck, ich weiß sie nicht. Ich bin lange genug in Bryn Mawr College gewesen (ein Jahr reichte vollends aus), um mir darüber im klaren zu sein, daß das Fliegen ein Tabu ist, das ich unbewußt ständig umkreise; der Akt des Fliegens hat etwas so Erotisches, daß man es nur heimlich niederlegen, in einer Zeitbombe verstecken und für die nächsten tausend Jahre vergraben dürfte. Und doch ist es noch niemandem gelungen, mir zu erklären, warum ich mich immer nach Symbolen sehne, wenn ich, ohne auch nur den Finger zu krümmen, die Wirklichkeit haben könnte? Ich meine, es wäre für mich seit meinem sechzehnten Lebensjahr etwa ein leichtes gewesen, ein geradezu schillerndes Liebesleben zu führen mit allem, was dazugehört — statt dessen sitze ich hier mit zweiundzwanzig Jahren fast so rein wie frisch gefallener Schnee, abgesehen von dem einen Mal, als ich einen Schluckauf hatte im Garten von Greenwich und Tom Ritchie sich meinen geschwächten Zustand zunutze machte. Ich nehme es ihm nicht übel, warum zum Teufel sollte er nicht! Das ist eine natürliche männliche Handlung von dem Tage an, da in irgendeinem Sumpf irgendwo in Asien das Leben seinen Anfang nahm; und er hat mir hinterher immer und immer wieder versichert, er wolle mich heiraten, sobald er den Auftrag der Thunfisch-Büchsen-Gesellschaft unter Dach und Fach habe. Das ist also nicht die Erklärung für meine Versessenheit auf Flugzeuge, mein angebliches Suchen nach Symbolen für überschäumende Männlichkeit. Übrigens, es ist eines der erstaunlichsten Erlebnisse, verführt zu werden, während man einen Schluckauf hat. Ich mochte Tom Ritchie sehr gern, und ich hatte schon immer ein normales, weibliches Interesse für alles, was zwischen Männlein und Weiblein vor sich geht in diesen Augenblicken, die in Romanen meistens (wie aufschlußreich!) mit vier Punkten geschildert werden; ich nahm bei dieser Gelegenheit nichts allzu deutlich wahr, weil ich zu beschäftigt war mit meiner oberen Hälfte, die alle paar Sekunden hick machte. Verlaß dich auf Thompson, sie wird’s schon verkehrt machen, selbst wenn sie ihre Jungfernschaft verliert. Der erhabendste Augenblick meines Lebens, wie es so schön in den Büchern heißt: Nun, ich schwöre, alles, was ich erlebte, waren vier Punkte. Wahrscheinlich hätte ich meine Unschuld verteidigt, wie es sich für ein anständiges Mädchen gehört, wenn ich ich selber gewesen wäre, aber mit diesem Schluckauf war ich einfach hilflos. Nun ja, als alles vorüber war, lag ich dort im Gras und machte »Hick, hick« wie ein Wecker in den letzten Zügen, und Tom Ritchie schaute angewidert auf mich herab, als hätte er alles getan, was in seinen Kräften stand, um mich zu heilen, und als wäre ich einfach zu schlaff und zu dämlich, um auf seine Heilmethode zu reagieren. Vielleicht hätte hiernach manche den Eindruck gewonnen, daß von der Liebe zu viel Aufhebens gemacht werde, noch dazu wenn ihr als nächster ein Typ wie Big Top Charlie über den Weg gelaufen wäre. Aber nicht ich. Ich gab nicht alle Hoffnung auf. Ich verwarf nicht all meine Ideale und Illusionen. Allerdings, das muß ich zugeben: Diese beiden Erfahrungen, Tom und Big Top, hatten mich, gelinde gesagt, enttäuscht, und wenn ich die Wahl hätte, setzte ich mich lieber zu einem guten Steak oder zu einem gesottenen Hummer.
    Wir stiegen (genau wie es in den Prospekten heißt) ohne einen Hauch von Geräusch, ohne eine Spur von Vibrieren auf in die Lüfte, als irgend etwas in meinem Ohr schnapp! machte und eine tiefe männliche Stimme sagte: »Hallo! Hier spricht der Kapitän. Hm. Es interessiert Sie vielleicht zu erfahren, wir fliegen mit einer Geschwindigkeit von fünfhundertachtzig Meilen in der Stunde, Höhe ungefähr achtundzwanzigtausend Fuß, geschätzte Dauer dieses Fluges — hm — zweieinhalb Stunden. Etwaige
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