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Todtstelzers Schicksal

Todtstelzers Schicksal

Titel: Todtstelzers Schicksal
Autoren: Simon R. Green
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schneller als irgendjemand sonst, und auch die übrigen Fähigkeiten aus dem Labyrinth waren ihm verloren gegangen wie die Verse eines alten
Liedes, die er sich nicht mehr richtig ins Gedächtnis rufen
konnte. Manchmal schien es ihm in den langen endlosen Stunden der Nacht, als rührte sich etwas tief in ihm, aber es trat nie
an die Oberfläche, und wenn es endlich Morgen wurde, erblickte ihn dieser weiterhin als gewöhnlichen Sterblichen.
Und so verbrachte er seine Tage neben mehr oder weniger
arbeitsfähigen Leprakranken, errichtete die Palisade Segment
für Segment neu, und auf gewisse Art bot ihm diese Aufgabe
Trost – diese Arbeit im Kreis anderer Menschen, ein Mitglied
der Menschheit und kein Ausgestoßener. Das Mitglied einer
Gruppe und nicht ihr Anführer. Es fühlte sich gut an, sich in
geistlosen, sich fortlaufend wiederholenden Tätigkeiten zu vergessen und abends wirklich etwas geleistet zu haben. Das meiste, was an richtiger Arbeit zu leisten war, näherte sich jetzt
jedoch dem Ende. Noch ein paar Tage, und die Station war
vollständig wiederhergestellt. Dann musste man nur noch auf
dem Dach herumklettern und die Lecks stopfen und ähnliche
Kleinigkeiten ausführen. Owen wusste nicht, was er dann tun
sollte.
Er trank den Wein, den ihm der Leprakranke gebracht hatte,
und war zu müde, um über den bitteren Geschmack auch nur
das Gesicht zu verziehen. Bestimmt hatten sie wieder Strychnin hinzugegeben, um dem Gesöff mehr Biss zu verleihen.
»Sie könnte überall sein«, sagte er leise, wohl wissend, dass
er sich selbst quälte, aber unfähig, damit aufzuhören. »Irgendwo in den Obeah -Systemen. Ich war noch nie dort. Kenne auch
niemanden, der es war. Ich weiß nicht mal, auf welchen Planeten sie Hazel dort gebracht haben. Sie könnten einfach alles mit
ihr anstellen. Jeder kennt den Ruf der Blutläufer. Sie haben das
Leid zu einer Kunst und das Gemetzel zu einer Wissenschaft
entwickelt. Hazel liegt womöglich in diesem Augenblick im
Sterben, und der große und allmächtige Owen Todtsteltzer
kann nichts tun, um sie zu retten.«
»Damit tust du dir keinen Gefallen«, meldete sich Oz. »Sie
ist tot. Das muss sie inzwischen einfach sein. Trauere und lasse
sie dann los.«
»Das kann ich nicht.«
»Dann hab Geduld. Irgendwann wird ein Schiff kommen.«
»Ich liebe sie, Oz. Ich wäre gestorben, um sie vor den Blutläufern zu retten.«
»Natürlich wärst du das.«
»O Gott …«
»Still, Owen, still!«
Schreie ertönten auf einmal, und Owens Kopf fuhr hoch. Innerhalb eines Augenblicks stand er auf den Beinen und warf
den Weinbecher weg, als er sah, wie sich ein Abschnitt der neu
errichteten Palisade aus den Halterungen löste und bedächtig
über etwa ein Dutzend Leprakranke neigte, die darunter standen. Das Segment wog etliche Tonnen, und die Sicherungsleinen, die es hätten festhalten oder seinen Sturz abbremsen sollen, rissen eine nach der anderen, und es klang wie eine Folge
explodierender Knallkörper. Die Leprösen wandten sich zur
Flucht, aber man konnte sehen, dass sie es nicht rechtzeitig
schaffen würden, aus dem Einzugsbereich des wie ein Hammer
niederkrachenden Palisadensegments zu entkommen.
Owen formulierte sein altes Kodewort Zorn , und neue Kraft
und Schnelligkeit brannten in seinen Muskeln, als er zu der
stürzenden Wand hinüberstürmte. Alles andere schien wie in
Zeitlupe abzulaufen, nachdem sich die gentechnisch erzeugte
Gabe des Todtsteltzer-Clans eingeschaltet hatte und Owen für
kurze Zeit wieder übermenschlich machte. Er erreichte die kippende Wand in Sekunden und packte mit beiden Händen die
letzte intakte Leine. Die Finger schlossen sich wie Stahlklammern um das dicke Tau und hielten es, während es sich spannte. Die Leprakranken liefen langsam an Owen vorbei, während
er das Seil fest hielt und wütend knurrte. Der raue Hanf schnitt
ihm langsam Handflächen und Finger auf. Blut lief ihm über
die Handgelenke. Und dann riss das Seil wie alle anderen.
Owen hätte zurückspringen und sich retten können. Die meisten Leprakranken waren aus der Gefahrenzone entkommen,
aber einige befanden sich noch im wachsenden Schatten der
Wand. Owen sah sich um und entdeckte einen halben Baumstamm, der dort auf dem Boden lag und darauf wartete, zu
Planken zersägt zu werden. Das Stück musste mindestens eine
halbe Tonne wiegen, aber Owen hob es mit einem explosiven
Grunzen hoch, schwenkte es herum und rückte damit entgegen
der Fallrichtung des Wandsegments
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