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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde
Autoren: Tess Gerritsen
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Frau, für die ihre Arbeit für Gott wichtiger als alles andere war, die auch die Auswahl ihrer Kleider ganz dem Dienst des Herrn unterordnete.
    »Sind das alle Kleider, die sie besitzt? Was man hier in dem Schrank sieht?«, fragte Rizzoli.
    »Wir legen ein Armutsgelübde ab, wenn wir dem Orden beitreten.«
    »Heißt das, dass Sie alles aufgeben müssen, was Sie besitzen?«
    Mary Clement lächelte geduldig, wie eine Mutter, deren Kind gerade eine ziemlich absurde Frage gestellt hat. »Es ist gar keine so große Entbehrung, Detective. Wir behalten unsere Bücher und auch ein paar persönliche Erinnerungsstücke. Wie Sie sehen, hat Schwester Ursula Freude an ihren Usambaraveilchen. Aber es stimmt, wir lassen fast alles zurück, wenn wir hier eintreten. Dies ist ein kontemplativer Orden, und wir halten uns fern von den Zerstreuungen der Welt außerhalb des Klosters.«
    »Entschuldigen Sie bitte, Ehrwürdige Mutter«, sagte Frost. »Ich bin nicht katholisch und weiß leider mit diesem Begriff nichts anzufangen. Was bitte ist ein kontemplativer Orden?«
    Seine Frage war unaufdringlich und von Respekt geprägt, und so schenkte Mary Clement ihm ein wärmeres Lächeln als zuvor Rizzoli. »Ein kontemplativer Mensch führt ein beschauliches, nach innen gerichtetes Leben. Ein Leben in Gebet, stiller Andacht und Meditation. Das ist der Grund, weshalb wir uns hinter Mauern zurückziehen und Besucher in der Regel abweisen. Für uns ist die Abgeschiedenheit ein Segen.«
    »Und was ist, wenn eine von ihnen die Regeln verletzt?«, fragte Rizzoli. »Schmeißen Sie sie dann raus?«
    Maura sah, wie Frost bei der derb formulierten Frage seiner Partnerin zusammenzuckte.
    »Unsere Regeln basieren auf Freiwilligkeit«, antwortete Mary Clement. »Wir halten sie ein, weil wir es so wollen.«
    »Aber es muss doch immer mal wieder vorkommen, dass irgendeine Nonne eines Morgens aufwacht und sagt: ›Heute hätte ich mal Lust, an den Strand zu gehen.‹«
    »Das kommt nicht vor.«
    »Es muss aber doch vorkommen. Sie sind schließlich auch nur Menschen.«
    »Es kommt nicht vor.«
    »Niemand bricht die Regeln? Niemand klettert über die Mauer?«
    »Wir haben es nicht nötig, die Abtei zu verlassen. Mrs. Otis kauft für uns Lebensmittel ein, und für unsere spirituellen Bedürfnisse ist Pater Brophy da.«
    »Was ist mit Briefen? Oder Anrufen? Selbst in einem Hochsicherheitsgefängnis dürfen die Insassen ab und zu mal telefonieren.«
    Frost schüttelte den Kopf, seine Miene wirkte gequält.
    »Wir haben ein Telefon hier im Haus, für Notfälle«, antwortete Mary Clement.
    »Und das dürfen alle benutzen?«
    »Warum sollten sie das tun wollen?«
    »Was ist mit Post? Dürfen Sie Briefe bekommen?«
    »Manche von uns ziehen es vor, keine Post anzunehmen.«
    »Und wenn man einen Brief schreiben will?«
    »An wen?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    Mary Clements Miene war zu einem verkrampften »Herr-schenke-mir-Geduld«-Lächeln erstarrt. »Ich kann mich nur wiederholen, Detective. Wir sind keine Gefangenen. Wir haben dieses Leben freiwillig gewählt. Wer mit den Regeln nicht einverstanden ist, dem steht es frei, zu gehen.«
    »Und wie soll so jemand in der Welt da draußen zurechtkommen?«
    »Sie scheinen zu glauben, dass wir keine Ahnung von jener Welt haben. Aber einige der Schwestern haben in Schulen oder in Krankenhäusern gedient.«
    »Ich dachte, Sie dürften das Kloster nicht verlassen.«
    »Manchmal ruft uns Gott zu Aufgaben, für die wir diese Mauern verlassen müssen. Vor einigen Jahren fühlte Schwester Ursula die Berufung, im Ausland zu dienen, und ihr wurde Exklaustration gewährt – das ist die Erlaubnis, außerhalb des Klosters zu leben, ohne jedoch das Gelübde aufzugeben.«
    »Aber sie ist wiedergekommen.«
    »Ja, letztes Jahr.«
    »Es hat ihr also nicht gefallen da draußen in der Welt?«
    »Ihre Mission in Indien war nicht einfach. Und sie war von Gewalt überschattet – Terroristen haben ihr Dorf überfallen. Danach ist sie zu uns zurückgekommen. Hier konnte sie sich wieder sicher fühlen.«
    »Sie hatte keine Familie, zu der sie hätte gehen können?«
    »Ihr nächster Verwandter war ein Bruder, der vor zwei Jahren gestorben ist. Wir sind jetzt ihre Familie, und Graystones ist ihr Zuhause. Wenn Sie der Welt überdrüssig sind und Trost brauchen, Detective«, fragte die Äbtissin mit sanfter Stimme, »gehen Sie dann nicht auch nach Hause?«
    Die Frage schien Rizzoli aus der Fassung zu bringen. Ihr Blick ging zu dem Kruzifix an der
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