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Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi

Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi

Titel: Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
Autoren: emons Verlag
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ihr, fasste sie unter die Achseln und trug sie zwei Meter
weit in die Wohnung hinein. Dieser Kraftakt, auch wenn meine Mutter recht
zierlich war, sollte ihr zumindest den Verdacht auf eine schwere Krankheit
nehmen.
    »Hör auf, du
quetschst mir die Lymphknoten.«
    Ich drückte ihr
einen Kuss auf die Wange und ging voraus in das Wohnzimmer. Dabei stieg mir der
unverkennbare Duft eines gebratenen Hähnchens in die Nase. Ansonsten zeugten
mehrere Details von einer baldigen Reise. Der Inhalt einer kleinen
Reiseapotheke lag auf dem Tisch verstreut, der Reisepass befand sich daneben,
und mehrere Paar Schuhe, zwischen denen sie sich offenbar entscheiden wollte,
waren ordentlich nebeneinandergestellt. Für mich sahen die Modelle alle sehr
ähnlich aus, doch hier war ein Kommentar meinerseits auf gar keinen Fall
erwünscht.
    »Also, was ist
los?«
    Ich ertappte mich
dabei, dass ich meine Mutter ziemlich sentimental beobachtete. Sie setzte sich,
und ich antwortete mit einer Gegenfrage. »Wohin fährst du?«
    »Ich fliege nach
Mallorca, Paguera, genauer gesagt.«
    »Du kannst
Mallorca nicht leiden.«
    Die lässige
Handbewegung und der Augenaufschlag wollten nicht recht zu einer Frau Ende
sechzig passen. »Das war, als ich mit deinem Vater dort war.«
    »Und du meinst,
allein gefällt es dir besser?«
    »Ich fliege nicht
allein.«
    Irgendetwas
Entscheidendes hatte ich wohl nicht mitbekommen. Welchen Namen hatte sie noch
ins Telefon gerufen, als ich endlich durchgekommen war? Herbert oder Harry …
nein, Harald.
    »Wer ist Harald?«
    Meine Mutter stand
auf und ging seelenruhig in die Küche, um nach dem Grillhähnchen zu schauen.
Und vermutlich, um sich eine Antwort zu überlegen. Kurze Zeit später setzte sie
sich wieder zu mir und stellte mir ein Glas Orangensaft vor die Nase.
    »Harald ist der
Mann einer ehemaligen Freundin von mir. Sie starb vor zwei Jahren, und seitdem
unternehmen Harald und ich öfter etwas zusammen. Ich kenne ihn also schon sehr
lange.«
    Wie praktisch,
dachte ich und konnte nicht umhin, meine Mutter zu bewundern. Dennoch stellte
ich eine sehr unkluge Frage: »Und wie nah seid ihr euch bereits gekommen?«
    Sie musterte mich
mit ihren dunklen Augen, schob die dezent geschminkten Lippen kurz nach vorn
und sagte dann: »Ich bin bald siebzig Jahre alt, und ich bespreche nicht einmal
mit meiner Hausärztin, wie nah ich einem Mann komme. Er kommt gleich zum Essen,
dann kannst du ihn kennenlernen.«
    Ich verkniff mir
die Bemerkung, warum sie mehr als eine halbe Stunde mit diesem Mann
telefonierte, wenn er ohnehin gleich zum Essen kam. Stattdessen hörte ich mich
sagen: »Ich finde es toll, dass du jemanden gefunden hast, mit dem du etwas
unternehmen kannst. Ich wünsche dir eine schöne Reise.« Meine Worte unterstrich
ich mit wiederholtem Kopfnicken, bis sie mir energisch zu verstehen gab, dass
sie jetzt über meine offensichtlichen Sorgen informiert werden wollte.
    Und dann erzählte
ich ihr alles. Von der Frau am Strand, von dem toten alten Herrn und dem
Wahnsinn, den man empfindet, wenn man glaubt, nur noch fünf Tage auf Erden
verweilen zu dürfen. Allerdings unterschlug ich einen entscheidenden Faktor.
Ich erzählte meiner Mutter, dass dies alles einem mir nahestehenden Kollegen
passiere. Aber es tat dennoch verdammt gut, darüber zu reden, diese Erlebnisse
zu schildern und die damit verbundenen Gedanken einmal aussprechen zu können.
    Meine Mutter hörte
schweigend zu und dachte nach, bevor sie zu meinem Entsetzen sagte: »Dein
Freund wird wahrscheinlich wirklich sterben.«
    »Weißt du denn,
wer diese Frau war, Mutti?«
    Sie sah mich an,
als hätte ich eine sehr dumme Frage gestellt. Doch dann wählte sie ihre Worte
mit Bedacht. »Es gibt wahrscheinlich tausend gute Erklärungen dafür, dass alles
ein dummer Zufall war, aber wenn dein Kollege tatsächlich glaubt, in fünf Tagen
zu sterben, wird genau das der Grund sein, seine eigene Gewissheit. Das ist
eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.«
    Ich hing an ihren
Lippen. »Was rätst du ihm? Soll ich ihn zu einem guten Psychiater schicken? Was
kann er gegen diese Gewissheit unternehmen? Was würdest du tun?«
    In diesem Moment
ging die Türklingel. Ich hielt ihren Arm fest, begierig nach einer Antwort.
    »Bei einem guten
Psychiater fände dieser Mann keinen Termin innerhalb der nächsten fünf Tage.«
Sie stand auf. »Aber ich würde etwas besonders Wichtiges in Angriff nehmen.
Etwas, was mir richtig am Herzen liegt, das ich aber nicht innerhalb
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