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Todesspur

Todesspur

Titel: Todesspur
Autoren: Susanne Mischke
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Weltkriegs aus Pommern fliehen müssen und waren in einem Auffanglager auf dem Mühlenberg, im Süden Hannovers, gelandet. Ihre Mutter klagt noch heute über »das Gesindel«, mit dem sie sich dort herumschlagen musste. Ende der Fünfziger wurde ein Teil der Leute vom Mühlenberg dann in den Stadtbezirk Nord umgesiedelt. Die neu gebauten Wohnblocks in Hainholz boten mehr Komfort als die Baracken auf dem Mühlenberg, und ihre Eltern freuten sich über die 47 Quadratmeter große Wohnung in der Bömelburgstraße. Heidruns Vater arbeitete als Elektriker bei der Conti in Vahrenwald. Er verschwand, als sie vier war. Ihre Mutter schlug sich als »Haushaltshilfe« durch, zumindest sollten ihre Tochter und die Nachbarn das glauben. Stellas Mutter lebt noch immer in dem Block im Bömelburgviertel, aber die Nachbarn sind andere geworden. »Ausländergesindel«, laut ihrer Mutter. Stella besucht sie ein Mal die Woche, dann trinken sie zusammen eine halbe Flasche Dornkaat , die Stella mitbringt. Stella kehrt nicht gerne an den Ort ihrer Kindheit zurück. Hainholz und ganz besonders das Bömelburgviertel gelten als sozialer Brennpunkt, da nützen auch die gut gemeinten Sozial- und Kulturprogramme wenig. Allerdings hat sie es selbst lediglich ein paar Straßenzüge weiter gebracht, und das auch nur, weil Niko die Miete für die langweilige Dreizimmer-Genossenschaftswohnung in der Straße Auf dem Dorn von seiner Frührente bezahlt.
    Stella beobachtet, wie die grellen Schweinwerfer scharf nach rechts schwenken. Wo will der denn hin, zum Musikzentrum? Um diese Uhrzeit dürfte dort alles wie ausgestorben und das Tor geschlossen sein. Kein Gig dauert schließlich bis früh um halb vier, schon gar nicht am Sonntagabend. Oder will der in die Hüttenstraße einbiegen? Da wird sich der Arsch aber mächtig wundern, da geht’s nämlich nicht weiter, tote Hose dahinten, finito. Früher war das anders. Da war die Straße im Schatten der Gleise gut für allerhand Aktivitäten, die die Öffentlichkeit nichts angingen. Auch Stella hat vor der Kulisse der maroden, graffitibeschmierten Lagerschuppen schon so manches schnelle Geschäft erledigt. Inzwischen gehört das Grundstück der Spedition Schenker, die keinen Verkehr jeglicher Art auf ihrem Gelände duldet, und die schmale Straße, die am Bahndamm entlangführt, ist mit Eisengittern abgesperrt.
    Die Scheinwerfer sind jetzt nicht mehr zu sehen. Wenn der Kerl wüsste, was er versäumt, wäre er garantiert nicht so einfach an ihr vorbeigezischt! Stella kramt in ihrer Handtasche nach einer Zigarette, findet jedoch keine. Stimmt, sie hat ja die letzten drei schon von ihrem Gönner schnorren müssen. Die Wirkung der Drinks aus dem Rocker lassen nun schlagartig nach, sie merkt, wie ihre Laune in den Keller sinkt. Wäre der Typ nicht vollkommen besoffen auf dem Tresen eingeschlafen, er hätte ihr bestimmt noch ein Taxi spendiert. Der wusste, was man einer Dame schuldig ist. So aber … Seufzend greift sie nach dem Flachmann, nimmt einen kräftigen Schluck, schraubt ihn wieder zu und setzt sich in Bewegung. Weit hat sie es ja nicht mehr. Doch schon nach wenigen Schritten wird die Straße erneut von zwei Lichtkegeln erhellt.
    »Hab ich’s nicht gesagt? Dahinten ist Ende der Fahnenstange«, murmelt Stella und schirmt ihre Augen ab, um nicht geblendet zu werden. Ein Gedanke durchzuckt sie: Hat der Fahrer vorhin den unfreundlichen Zuruf gehört? Gibt’s jetzt etwa Stress? Aber immerhin hat der mich von oben bis unten eingesaut, das werde ich dem schon verklickern, dass ihn das was kostet. Ihre Hand krallt sich um die Tränengas-Sprühdose in der Tasche ihres Polyester-Nerzes. Aber der Wagen zieht in hohem Tempo an ihr vorbei. Stella schaut ihm nach, dann geht sie weiter und murmelt im Takt ihrer Absätze, die auf das Pflaster einhacken: »Ha Ix zwoneun-sechsfünf, Ha Ix zwoneun-sechsfünf  … « Das Sicheinprägen von Autokennzeichen ist eine alte Gewohnheit aus der Zeit, als sie in der Herschelstraße gestanden hat, und funktioniert auch noch im Suff. Vielleicht sollte sie dem Kerl eine Rechnung schicken, Reinigung und so. Ja doch, das sollte sie tun.


    Der Mann, der durch die Schwingtür der Bar tritt, hält das vereinbarte Erkennungszeichen – eine zusammengefaltete Süddeutsche Zeitung – in der Hand. Es ist Fernando Rodriguez! Er trägt seine unvermeidliche Lederjacke, einen Dreitagebart und wie üblich zu viel Gel in seinen schwarzen Schmalzlocken, die er neuerdings färbt. Betrug, denkt
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