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Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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ihre Tränen aufgesaugt hatten. Sie hatte fast das Gefühl, als hätte sie gar nicht geweint, und fühlte sich noch schlechter. Als hätte sie ihren Vater enttäuscht, als sei er ihr vollkommen egal.
    »Was sollen wir machen, wenn er nicht kommt?«, fragte sie.
    Arna bewegte sich zwischen den Stoffen, und die Kleider raschelten, als würden sie auch etwas flüstern.
    »Ich weiß nicht«, wisperte sie.
    »Sollen wir hierbleiben, bis der böse Mann uns findet?«, fragte Bylgja. Sie rutschte ebenfalls etwas herum, weil Arnas Ellbogen in ihren Bauch piekste. Aber es war egal, dass es so unbequem war – lieber wollten die Mädchen zusammen in einem Schrank hocken als jede für sich alleine.
    »Ich weiß nicht. Vielleicht findet er uns nicht.«
    »Wenn er uns sucht, findet er uns.«
    »Vielleicht sucht er uns nicht«, meinte Arna, und es klang, als würde sie immer noch weinen.
    »Vielleicht.«
    Bylgja hätte am liebsten die Augen zugemacht und an etwas ganz anderes gedacht. An das Sommerhaus, das sich ihre Mutter so gewünscht hatte, und an die Anzeigen, die sie manchmal gemeinsam angeschaut hatten, um ein Haus auszusuchen, das sie kaufen würden, wenn sie ganz viel Geld hätten. Wenn sie die Augen fest zudrückte und sich die Ohren zuhielt, konnte sie sich vorstellen, wie sie daheim in der Küche saßen, die Zeitung durchblätterten und das schönste Haus auswählten. Ein Haus mit einer Veranda und kleinen Bäumchen, die groß wären, wenn Arna und sie erwachsen wären. Doch obwohl Bylgja alles, was sie in dem dunklen Schrank sah und hörte, aussperrte, spürte sie immer noch das Schaukeln der Yacht, und das machte alles zunichte.
    »Denkst du an Mama?«, fragte sie.
    »Ja«, antwortete Arna und tastete wieder umher.
    »Glaubst du, dass der böse Mann sie ins Meer geworfen hat?« Arna antwortete nicht. »Du musst antworten, ich will dich sprechen hören.«
    »Ich kann nicht über Mama im Meer sprechen.« Arna schniefte. Das Kleid, das ihr am nächsten hing, war bestimmt schon voller Flecken. »Lass uns über was anderes reden.«
    »Ich will aus dem Schrank«, sagte Bylgja und tastete nach ihrer Brille, die sie auf den Boden gelegt hatte. »Es tut so weh, ich will Papa suchen.«
    »Und was ist mit dem bösen Mann?«
    »Vielleicht gibt’s keinen bösen Mann. Vielleicht haben wir was falsch verstanden, und Papa hat uns vergessen und quatscht mit Þráinn und Halli. Weißt du noch, wie müde er war? Vielleicht ist er auch nur eingeschlafen. Ich will nicht mehr flüstern. Vielleicht haben wir schon die ganze Luft im Schrank aufgebraucht und müssen ersticken.«
    Plötzlich wurde es hell, und Bylgja schlug die Augen auf. Arna hatte den Schrank geöffnet. Sie krochen heraus, und nach einer Weile blendete das Licht nicht mehr.
    »Was sollen wir tun?«, flüsterte Arna. Sie schaute sich um, und ihre Augen blieben an den Sachen ihres Vaters hängen. Ein Hemd auf einem Stuhl beim Kosmetiktisch, die Aktentasche auf dem Fußboden und das Buch, das er am Anfang der Fahrt gelesen hatte, aufgeschlagen auf dem Nachttisch. Sie wollte nicht darüber nachdenken, ob er es jemals zu Ende lesen würde. Sogar die Coladose, aus der er getrunken hatte, verursachte ein schreckliches Gefühl in ihrem Bauch, ein schmerzhaftes Stechen, das sich nach oben zog, als ziele es aufs Herz.
    »Lass uns gehen. Lass uns an Deck gehen«, sagte sie.
    »Meinst du, das ist okay?« Bylgja bereute es plötzlich, dafür verantwortlich zu sein, dass sie den engen Schrank verlassen hatten. Dort waren sie sicher gewesen. Zumindest vorübergehend.
    »Ja, ich glaube schon. Weißt du noch, als wir mit Papa an Deck waren, als er so müde war? Da war alles okay. Ich glaube, er würde es uns nicht verbieten.«
    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher, wir kommen einfach hierher zurück, wenn wir wollen«, sagte Arna. Sie ging zum Nachttisch ihres Vaters, nahm das Taschenbuch, knickte eine Seite ein und klappte es zu. »Ich will Papa sein Buch geben.«
    »Wenn wir ihn treffen«, entgegnete Bylgja und kniff die Augen zusammen. Sie wollte noch einmal nach ihrer Brille suchen, ließ es dann aber bleiben. Es war egal. Sie wollte auf diesem bösen Schiff nichts sehen, da trug sie lieber keine Brille. Bylgja war neidisch auf Arna, die das Buch an sich genommen hatte, und suchte nach etwas, das sie mitnehmen konnte.
    »Ich nehme die Aktentasche. Papa wird froh sein, sie wiederzukriegen.«
    Die Mädchen gähnten und lächelten sich an.
    »Gehen wir.«
    Als sie im Gang waren, versuchten
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