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Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Autoren: Elias Palm
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Eingangsbereich kaufte sie einen Strauß Rosen aus Seidenstoff, die vermutlich angeboten wurden, um allergische Reaktionen bei Mitpatienten zu vermeiden. Echte Blumen waren auf den meisten Stationen bereits seit Langem verboten. Der Strauß war hässlich, doch Ella steckte ihn zufrieden zu ihren anderen Einkäufen. Um kurz vor fünfzehn Uhr hob Ella die Hand und klopfte an der Tür zu Gretes Zimmer. Judit öffnete, und ihr Gesicht hellte sich auf, als sie Ella erblickte, aber sie erstarrte, als Ella ihr die Blumen hinhielt, die sie gekauft hatte. Etwas unbeholfen versuchte Judit sie vor Grete zu verbergen, die halb sitzend im Bett thronte und sie aufmerksam beobachtete. Grete trug eine turbanähnliche Kopfbedeckung und war geschminkt und wirkte trotz ihrer halbseitigen Gesichtslähmung munter. Die alte Dame folgte Ella mit wachsamem Blick, als die sich an Judit vorbeischob, den Strauß wieder an sich nahm und ihn in eine billige Keramikvase stellte, die sie aus einer Tüte nahm. Gretes Blick verdunkelte sich, aber sie sagte immer noch nichts. Judit warf erst Ella und dann ihrer Mutter einen fragenden Blick zu und rief dann plötzlich aus:
    »Nein, wie schön, dass du vorbeikommen konntest.« Seit Gretes Schlaganfall hatte sie an ihrem Bett gesessen und schien die Stille sattzuhaben. Trotz der Aufforderungen der Ärzte und Logopäden, zumindest einen Versuch zu unternehmen zu sprechen, hatte Grete bislang kein Wort geäußert. Die Verletzungen ihres Gehirns durch den Sauerstoffmangel lagen in der linken Hirnhälfte und hatten auch ihr Sprachzentrum in Mitleidenschaft gezogen. Der medizinische Terminus dafür lautete Aphasie. Eine Aphasie konnte entweder impressiv oder expressiv oder auch beides sein. Gretes Aphasie war expressiv. Das bedeutete, dass sie verstand, was gesagt wurde, selbst aber keine Worte äußern konnte. Dieser Zustand war oft vorübergehend, und mithilfe der Logopäden und durch intensives Training erlangten viele Patienten ihr Sprachvermögen wieder, wusste Ella. Doch als Grete einen Versuch unternommen hatte zu sprechen, waren ihr nur unverständliche Laute über die Lippen gekommen. Danach blieb sie stumm, eine Eigenschaft, die normalerweise nicht zu ihren Charakterzügen gehörte.
    Dieses Stummsein ging Judit offenbar auf die Nerven, sodass sie sich jetzt verzweifelt danach sehnte, eine andere Stimme zu hören als ihre eigene. Im Nachhinein hätte sie allerdings bestimmt anders reagiert. Vielleicht hätte sie die Stille doch vorgezogen.
    Gretes Gesichtsausdruck war nicht schwer zu deuten, auch wenn sie nur mit einer Gesichtshälfte eine Grimasse zog. Sie betrachtete die Blumen mit Abscheu. Ella positionierte sich neben Gretes Bett und stellte ihre Tüten entlang der Wand des kleinen Zimmers ab.
    »Hast du alles gefunden, was auf der Liste stand?«, fragte Judit.
    »Oh ja«, antwortete Ella, »und sogar noch mehr.«
    Sie zog das verblichene Polaroidfoto hervor und legte es auf den Nachttisch vor dem Krankenbett. Grete warf einen raschen Blick auf das Bild und schaute Ella dann mit finsterer Miene an. Judit hingegen betrachtete das Bild neugierig, während sie die Seidenblumen zurechtzupfte. Ella legte den Kopf schief und beobachtete ihre Mutter, die neben dem Bett stand. Sie wirkte völlig ahnungslos. Ella fragte sich für einen kurzen Moment, ob sich hinter Judits Stirn im Moment überhaupt etwas tat. Irgendwer hatte ihr mal erzählt, dass eine Kuh, die gerade wiederkäute, ein vollständig leeres EEG aufwies, was darauf hindeutete, dass dabei keine größeren Hirnaktivitäten stattfanden. Sie konnte nicht umhin sich vorzustellen, wie Judits EEG in diesem Moment wohl aussehen würde.
    »Am 24. März 1976«, begann Ella, »sollte mein Vater sterben.«
    Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. Grete verzog keine Miene, während Judit sich aufrichtete und mit einem Mal erschrocken wirkte.
    »Es war kein Unfall. Das Ganze war bis ins kleinste Detail geplant.«
    »Aber mein liebes Mädchen«, rief Judit aus und stemmte die Hände in die Hüften.
    Ella schüttelte den Kopf und bedeutete ihr, sich zu setzen.
    »Wenn sich die Alte schon ausnahmsweise mal weder verbal noch physisch herauswinden kann, dann sei du bitte so nett und unterbrich mich nicht«, sagte sie ruhig. Judit setzte sich auf den Besucherstuhl und begann nervös ihren Rock glatt zu streichen, hielt dann jedoch inne und streckte sich nach dem Polaroidfoto.
    »Und wer soll das sein?«, fragte sie irritiert und begegnete Ellas
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