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Todesgott

Todesgott

Titel: Todesgott
Autoren: Árni Thórarinsson
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jenseits des Flusses Glerá, der die Stadt in zwei Hälften teilt. Sie ist wesentlich größer als meine Kellerwohnung im Þingholtviertel, im Grunde purer Luxus: hinter der Wohnungstür rechts eine Küche, ein großes, offenes Wohn- und Esszimmer mit Fernseher und Stereoanlage, linker Hand drei Schlafzimmer und ein Bad. Jóa hat sich in dem vorderen Zimmer eingerichtet, ich im hinteren, und in Gedanken sehe ich Gunnsa in dem mittleren Zimmer vor mir. Ich freue mich wie ein Kind auf unsere gemeinsame Zeit zu Ostern.
    Manchmal kommt mir Gunnsa reifer vor als ihr Vater. Wenn ich im letzten Sommerurlaub in vergleichbaren Schwierigkeiten gelandet wäre wie sie, wäre ich jetzt lange nicht so stabil. Ich habe keine Ahnung, woher sie ihre Ausgeglichenheit hat. Jedenfalls nicht von mir und wohl kaum von Gulla, ihrer Mutter. Manchmal mutieren die Gene wie von Gottes Gnade.
    Allerdings sind meine neuen Wohnverhältnisse nicht in jeder Hinsicht luxuriös. Die Eigentümerin der Wohnung, eine Jugendfreundin Ásbjörns, macht ein Aufbaustudium im Ausland.
    Der Vorteil ist, dass alles zur Stelle ist, was man braucht, aber der Nachteil ist, dass sich in der Wohnung viel mehr befindet, als man normalerweise haben will. Damit meine ich gar nicht das verbeulte Kinderspielzeug im mittleren Zimmer, die Kleiderstapel in meinem Schrank und das Rauchverbot, gegen das ich schon längst verstoßen habe. Auch nicht die Glasgänse und Porzellanengel und Tonkätzchen in den Regalen, gegen die ich schon versehentlich gestoßen bin, deren Flügel-, Hals- und Schwanzbruch ich verursacht und die ich mit Klebstoff wieder zu flicken versucht habe. Reden wir nicht davon. Nein, ich meine den gelben Zwergpapagei, der in meinem Schlafzimmer wohnt. Dieser faustgroße Vogel ist quicklebendig und haust in einem vergoldeten Käfig, der auf einem kleinen Tisch in der Ecke steht. Mir wurde die vertrauensvolle Aufgabe zuteil, mich um sein Wohlergehen zu kümmern. Ich muss ihm morgens Körner und abends Körner, Knabberstangen und Knabbersnacks geben, regelmäßig sein Trinkwasser und den Sand im Käfig wechseln und den Vogel sogar ab und zu im Waschbecken baden. Mehrmals in der Woche soll ich alle Fenster und anderen Fluchtwege verschließen, den Käfig öffnen und dem Tier erlauben, ganz nach Belieben durch die Wohnung zu flattern, damit es eine Weile das Gefühl hat, frei zu sein. Im Leben dieses kleinen Papageis spiele ich die Rolle des Allmächtigen, und es ist wirklich nicht meine Traumrolle, derartige Illusionen aufrechtzuerhalten. Es fällt mir schon schwer genug, mein eigenes Freiheitsgefühl aufrechtzuerhalten.
    In der Tat bin ich ziemlich sauer auf Ásbjörn, der mir diese Verantwortung aufgehalst hat. Als ich ihn fragte, ob er und seine Frau den Vogel nicht beherbergen könnten, entgegnete er barsch: »Der Papagei ist dort zu Hause. Willst du, dass er einen Kulturschock bekommt und stirbt? Und was glaubst du, wie er mit Snúlli auskommen würde? Sei mir lieber dankbar, dass ich dich davor gerettet habe, die ganzen Blumen gießen zu müssen.«
    So weit hatte ich nicht gedacht. Ich war kurz davor, ihn zu fragen, ob das Verhältnis zwischen dem Papagei und Snúlli nicht das Verhältnis zwischen ihm und mir widerspiegele. Aber das würde ja auch nichts bringen.
    Stattdessen muss ich täglich eine Checkliste durchgehen, die an der Wand über dem Käfig hängt, und mir ständig das Trällern und Pfeifen und manchmal wütende Kreischen des Vogels, das an ein Maschinengewehr erinnert, anhören.
    Ich weiß nicht, ob mein unerwünschter Kamerad männlich oder weiblich ist und wie er heißt. Aber da ich nun mal gezwungenermaßen Gott spielen muss, habe ich beschlossen, dass es sich um eine Frau namens Snælda handelt. Nach diesem Entschluss geht es mir schon viel besser.
    Vielleicht hat Gunnsa Spaß daran, sich um Snælda zu kümmern, wenn sie zu Besuch kommt.
    So ist also die Sache mit dem Zwergpapagei.
     
    »Wahrscheinlich planen sie irgendeine Großindustrie – der Rohstoff sind kranke Menschen und das Produkt gesunde Menschen«, antworte ich auf Jóas Frage nach der Zukunft der Ortschaften am See Mývatn, nachdem die Kieselgurfabrik dichtgemacht hat.
    Wir sind über den Pass Víkurskarð, am See Ljósavatn und am Wasserfall Goðafoss vorbei, über die Hochebene Reykjaheiði und durchs Reykjatal gefahren und verlassen gerade die Gemeinde Mývatn über das Ödland Richtung Egilsstaðir. Jóa liest die Straßenkarte und weist mir den Weg. Ich kann zwar die
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