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Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)

Titel: Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
Autoren: Sabine Wierlemann
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Paare im vorgerückten Alter hatten sich nichts mehr zu sagen und den Kontakt mit den Nachbarn vermied man lieber, schließlich wollte man später nicht zum Stadtgespräch werden. Die meisten der Anwesenden hätten es vorgezogen, hier zu sein, ohne gesehen zu werden. Die Gattinnen versuchten, den Weinkonsum ihrer Männer in einem publikumskompatiblen Maß zu halten, was sie gelegentlich auch zu Schienbeintritten unter dem Tisch nötigte. Die Damen hielten sich von den alkoholischen Verlockungen fern, um den Überblick zu behalten; sie taxierten die Konkurrentinnen und versuchten, die ersten Ausrutscher auf dem gesellschaftlichen Parkett auszumachen, um sie dem eigenen Gatten karrierefördernd, weil Gegner vernichtend, zugute kommen zu lassen. Dieses angespannte gegenseitige Beäugen währte allerdings nicht lange, denn Adriano ging höchstpersönlich durch die Reihen und beglückte die Konzertbesucherinnen mit einem feinen italienischen Likör. Diesem Angebot konnte keine der Gattinnen widerstehen und weil sich auch hier die Gläser auf wundersame Weise immer wieder füllten und das hochprozentige Damenglück sofort seinen vorgeschriebenen Weg fand, war bereits zum Abschluss der Pause das Ende der allgemeinen Eiszeit erreicht. Die Damen prosteten einander zu und hielten jetzt auch ihre Männer nicht mehr so kurz, sondern übernahmen es kurzerhand selbst, die geleerten Gläser wieder zu füllen. Den Kellnern des Venezias war das recht, sie beschränkten sich jetzt darauf, nur noch die Flaschen an den Tischen auszutauschen.
    Der Pianist betrat die Bühne und beendete mit einem kleinen Zwischenspiel die Pause und Frau Helmle ermahnte die Tischgesellschaft pflichtbewusst zur Ruhe. Georg fand langsam Gefallen an dem Theater, bei dem auch die Zuhörer inzwischen ihre Rolle gefunden hatten. Während Herr Ebert und Frau Schäufele sich nach jedem Stück anerkennend zunickten, schien Gerda König wirklich zu leiden. Die meiste Zeit hielt sie den Blick gesenkt und zuckte zusammen, besonders wenn sich die Sängerin in hohe Lagen aufschwang. Ihrem Mann schien die Synthese zu gelingen, er ließ die Musik über sich ergehen, freute sich über den guten Tropfen in seinem Glas und prostete zufrieden in die Runde.
    Valentina Felice hatte ihren Auftritt sorgfältig geplant und absolvierte die anspruchsvollsten Opernarien mit der unbekümmerten Naivität einer Kirchenchor-Anfängerin. Dazu gehört e schon eine große Portion Selbstüberschätzung, wenn man sich mit dieser Darbietung einem Publikum auslieferte und ihm zusätzlich zur musikalischen Unreife auch noch eine höchst fragwürdige Kostümierung präsentierte. „Gesellschaftliche Selbstzerfleischung mit öffentlicher Anteilnahme“ würde den Abend aus Gerda Königs Sicht treffender beschreiben als „Einladung zum musikalisch-kulinarischen Genuss“. Sie wartete den nächsten Beifall ab, um ihren Mann in die Seite zu knuffen. „Meinst du, wir müssen wirklich bis zum Schluss bleiben?“ Otto sah sie verwundert an. „Wir sind doch eben erst gekommen, der Abend hat noch nicht einmal richtig angefangen. Und du weißt doch, das Beste kommt zum Schluss, das Büfett. Aber wenn es dir zu viel ist, dann geh doch einfach in der nächsten Pause schon mal vor.“ Gerda wusste, dass ihr Mann kulinarischen Verlockungen nur ganz schwer widerstehen konnte und sie wollte ihn in dieser Gesellschaft auf gar keinen Fall alleine lassen. Nicht, dass sie ihm misstraute oder Angst hatte, er würde sich eine der halbseidenen Schönheiten anlachen; sie wusste allerdings nur zu gut, dass ihr Mann zu vorgerückter Stunde und mit dem einen oder anderen Gläschen Wein intus gerne ausgelassener feierte, als es ihm am nächsten Tag lieb war. Außerdem hatte sie am nächsten Morgen einfach keine Lust auf einen verkaterten Otto neben sich im Bett, der sich Sorgen machte, dass er sich im Überschwang der Gefühle zu Äußerungen hatte hinreißen lassen, die er nüchtern besehen nicht mehr ohne weiteres unterschreiben würde. Sie war quasi sein ‚Alkomat’, der rechtzeitig das Signal zum Aufbruch gab, bevor das gesellschaftliche Parkett zu rutschig wurde.
    Frau Helmle nutzte den Applaus, um sich für einen Moment zu entschuldigen. „Georg, du kannst doch bestimmt kurz auf Ernschdle aufpassen, gell?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sie dem verdutzten Polizeihauptkommissar den kleinen dicken Mops auf den Schoß. Der wusste nicht, wie ihm geschah und bevor er sich wehren konnte, war die ältere Dame
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