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Todesfrauen

Todesfrauen

Titel: Todesfrauen
Autoren: Jan Beinßen
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festhielt.
    »Die Birne lässt sich drehen«, sagte Sina angestrengt, weil sie auf Zehenspitzen balancieren musste, um die Glühlampe zu erreichen. »Ich probier’s mal.« Von einem Moment auf den nächsten war es stockdunkel in dem Zimmer.
    »Dreh sie wieder rein«, bestimmte Gabriele.
    Das Licht flackerte sogleich wieder auf. Sina kletterte vom Tisch, strich die Hose glatt und sagte leise: »Mit 220 Volt können wir einen Mann wie den Iren umhauen und zumindest für kurze Zeit außer Gefecht setzen. Was wir brauchen, ist ein Hilfsmittel, mit dem wir den Strom umleiten können, sodass er wirkt, sobald jemand den Raum betritt. Am besten wäre es, wenn wir die Türklinke unter Strom setzen könnten.«
    Gabriele nickte begeistert. Ihre Freude erfuhr jedoch schnell einen Dämpfer, als sie sich nach einem leitenden Material umsah und nichts fand. »Wir brauchen etwas Metallisches, ja?«, fragte sie und sehnte eine Kabeltrommel oder Verlängerungsschnur herbei.
    »Ja, metallisch«, antwortete Sina und drehte sich suchend im Kreis. »Es muss ein leitendes Material sein.«
     
    Sie fanden nichts. Eine Stunde war verstrichen, vielleicht auch mehr. Die Frauen überprüften alles, was sie in die Hände bekamen, rüttelten abermals an den Edelstahlbeinen von Tisch und Stühlen, tasteten Wände und Böden ab, untersuchten jede Ecke. Sie bogen Gabrieles Haarnadeln auseinander, verbanden sie in mühseliger Fummelei miteinander – und kamen doch bloß auf eine Drahtlänge von etwa 30 Zentimetern. Sina kletterte erneut auf den Tisch, zog am Lampenkabel. Es gab keinen Deut nach. Sie würde es höchstens mit Gewalt aus der Decke reißen können, doch dann hätten sie kein Licht mehr, und Strom würde wahrscheinlich auch nicht fließen.
    »So ein verfluchter Mist!« Sina blieb auf dem Tisch stehen und ließ den Kopf hängen. »Dabei war es eine so gute Idee!«
    »Nicht den Mut verlieren«, meinte Gabriele, mochte ihre Worte jedoch selbst kaum noch glauben. Sie waren in eine Sackgasse geraten und steckten fest. Es führte nur ein Weg hinaus – und dieser Weg bedeutete den sicheren Tod für sie.
    »Ich halt’s nicht aus! Ich dreh gleich durch!«, schimpfte Sina. Damit machte sie sich bereit, vom Tisch zu springen. Doch sie geriet mit dem linken Fuß auf einen der beiseitegeschobenen Frühstücksteller. Ihre Sohle patschte ins kalte Rührei, Sina glitt aus, konnte das Wegrutschen nicht ausbalancieren und fiel seitwärts vom Tisch. Mit der Schulter voran schlug sie auf dem Fußboden auf.
    »Oh, nein!« Gabriele kam ihr sofort zu Hilfe und ging ihr zur Hand, damit sie sich aufrichten konnte.
    Sina rieb sich die Schulter. »Auch das noch«, jammerte sie. »Das tut saumäßig weh.« Sie hob den Arm und ließ die Schulter kreisen. Gebrochen war offensichtlich nichts.
    Gabriele wollte ihr tröstende Worte spenden, doch dann stockte sie. Ein Lächeln entfaltete sich auf ihrem Gesicht. Es war ein breites und gemeines Lächeln. Heimtücke blitzte in ihren Augen, als sie einen bis eben verborgenen Weg erkannte, der sie mit etwas Glück lebend aus ihrem Gefängnis führen würde.

30
     
    Als es klopfte und die Klinke gedrückt wurde, rechnete Diehl mit der Visite und stellte sich darauf ein, Dr. Mertins mit bohrenden Fragen zu traktieren. Denn so einfach abspeisen lassen, wie es beim letzten Mal der Fall gewesen war, wollte er sich nicht.
    Zu seiner großen Verwunderung trat jedoch nicht der Doktor mit Gefolge ein, sondern erst einmal gar keiner. Dann erschien ein Kopf im Türrahmen. Er gehörte seinem Assistenten.
    »Harry?«, stieß Diehl verblüfft aus. »Was, zum Teufel, suchen Sie denn hier?«
    Zögerlich, wie es seine Art war, kam der junge Mann näher. Im Abstand von etwa zwei Metern blieb er stehen, zog mit umständlicher Geste ein paar Latexhandschuhe und einen Mundschutz hervor und legte beides an. »Entschuldigung, Chef«, sagte er dabei. »Nur zur Sicherheit.«
    »Das ist in Ordnung«, sagte Diehl schmunzelnd. »Es muss Sie ja schon eine große Überwindung gekostet haben, überhaupt hierher zu kommen.«
    »Ja«, stimmte Harry geknickt zu. Dann schüttelte er die Gedanken an Krankheit und Ansteckungsgefahr ab und breitete den Inhalt seiner Aktentasche auf Diehls Bettdecke aus. »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, verkündete er und klang stolz.
    »Keine Blumen, wie ich sehe«, witzelte Diehl und machte sich sogleich ans Sichten der Unterlagen.
    Harry ließ ihn gewähren und erläuterte dabei: »Zwei wesentliche Informationen konnte
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