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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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lassen, damit seine Gläubiger nicht ihr Gehalt pfänden konnten? Wie kam der Pleitegeier an den Regierungsauftrag? Hatte sie da mit ihren politischen Beziehungen nachgeholfen?
    Einer würde es bald aussprechen. Die Frage war nur, wer als Erster den Mut dazu hatte. Hier konnte sich jemand profilieren und sich für eine politische Karriere empfehlen oder sich mit demselben Schachzug für immer ins Aus setzen.
    »Der Krisenstab«, sagte der Polizeichef weiter, »muss zunächst ohne Frau Jansen effektiv arbeiten.« Er sah das Grinsen des stellvertretenden Verwaltungsdirektors und holte tief Luft, seinen Ärger zu beherrschen. Er hatte diesen kleinkarierten Erbsenzähler noch nie leiden können.
    In dem Moment krachte ein Pflasterstein gegen die Doppelglasscheibe.
    Ein junger Polizist, der in den letzten vierundzwanzig Stunden um Jahre gealtert war, stieß die Tür auf.
    Der Mann blutete aus der Nase und japste kurzatmig: »Sie dringen ins Gebäude ein!«, rief er, dann setzte er sich auf einen freien Stuhl und streckte die Beine von sich.
    Polizeichef Burmeester fuhr ihn an: »Mensch! Eden, was erlauben Sie sich?!«
    Der stellvertretende Verwaltungsdirektor sagte: »Der Mann ist fertig. Sehen Sie das nicht?«
    Ulf Galle reichte Hanno Eden ein Glas Wasser. Der trank gierig und kurze Zeit später ging es ihm schon wieder besser.
    Vom Flur draußen drang Lärm in den Raum. Ulf Galle verriegelte mit dem Vertreter der Sparkasse die große Tür. Sie schoben noch einen Tisch davor.
    »Was soll das?«, fragte Burmeester.
    Der Sparkassenvertreter setzte sich demonstrativ auf den Tisch und fragte bissig: »Ja, wollen Sie jetzt etwa rausgehen und mit den Leuten reden?«
    »Warum nicht?«, konterte der Polizeichef in Heldenpose. Er räusperte sich, machte sich kerzengerade und zupfte seine Jackettärmel zurecht, wie er es vor jedem Vortrag tat. Dann reckte er kurz sein Kinn. »Die Menschen haben ihre Fragen. Wir sollten sie beantworten«, sagte er, wie um sich selbst Mut zu machen.
    »Das ist keine Pressekonferenz«, spottete der stellvertretende Verwaltungsdirektor. »Die Meute da draußen will uns fertigmachen!«
    »Warum?«
    »Weil wir versagt haben. Deshalb.«

 
    119 Lukka wachte im Krankenhaus auf. Über ihr flackerte eine Neonröhre.
    Sie hatte keine Schmerzen, konnte sich aber kaum bewegen und nur wenig um sich herum erkennen. Es war hell. Das Licht blendete sie schmerzhaft, trotzdem tobte in ihr eine unbändige Freude, denn sie war sicher, es überlebt zu haben. Ihr Körpergefühl war mit dem in Charlies Auto nicht zu vergleichen. Die Feuersbrunst in ihren Gliedern war gelöscht. Auf der Haut spürte sie ein feuchtes Kleben. Sie lag in durchgeschwitzter Kleidung im Bett. Die Füße kribbelten, als ob sie eingeschlafen wären.
    Sie fragte sich, wo Charlie und Regula waren. Langsam kam die Erinnerung an die schrecklichen Stunden auf der Fähre zurück, die Stunden im Auto. Sie wusste, dass diese Situation sie auf ewig traumatisiert hatte. Für den Rest ihres Lebens würde sie das Gefühl nicht mehr loswerden, in jeder Gruppe ein schädlicher Fremdkörper zu sein. Verachtenswert. Unheil bringend. Ansteckend. Aber was machte das schon? Sie hatte überlebt und nur das war wichtig.
    Lukka wollte sich bemerkbar machen. Da waren Stimmen. Da mussten Menschen ganz in ihrer Nähe sein. Aber sie konnte noch nicht sprechen. Ihre Zunge lag dick und unbeweglich im Mund.
    Sie hob die linke Hand. Bleischwer fiel sie aufs Bett zurück. Lukka schluckte. Sie versuchte, nach links zu schauen. Dort redete jemand. Aber sie konnte den Kopf kaum bewegen. Dafür hörte sie, wie es in ihren Halswirbeln knirschte.
    Eine Krankenschwesternschülerin, nicht älter als sie selbst, reichte ihr eine Plastiktasse mit lauwarmem Pfefferminztee. Lukka trank, verschluckte sich, hustete den Tee wieder aus und musste doch feststellen, dass sie selten etwas Köstlicheres probiert hatte.
    »Wo bin ich?«, fragte sie.

 
    120 Am anderen Ende der Brücke, hinter der Absperrung, standen Soldaten. Sie umlagerten die zwei gepanzerten Fahrzeuge wie wärmende Öfen in einer kalten Nacht. Aber es war weder Nacht noch kalt. Der ostfriesische Himmel zeigte sein blaues Licht, das Meer spiegelte sich darin. Die Nordsee war für kurze Zeit ruhig wie ein Teich im Westerwald und es war vollkommen windstill, so als würden selbst die Naturgewalten den Atem anhalten und interessiert abwarten, wofür sich die Menschen entschieden: Krieg oder Frieden.
    Auf beiden Seiten gab es
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