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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten
Autoren: Ulrike Rylance
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lähmte alles andere. Es beruhigte mich, wenn auch nur kurz.
    Melanies Augenlider flatterten, aber sie erwiderte nichts. Ich hatte das Gefühl, dass sie schon wiederwegdriftete. »Ich komme gleich zurück«, sagte ich schnell und stürzte in Leons Hausboot hinein, bevor die Angst mich erneut einholte.
     
    Er befand sich immer noch auf dem Boden, auch wenn es mir irgendwie so vorkam, als ob er sich aufrechter und stabiler hielt. Er grinste. Dieser Mistkerl grinste immer noch und zeigte dabei sein Grübchen. Wie konnte das Böse nur so attraktiv aussehen?
    »Na«, sagte er munter. »Hast du gebadet?«
    Ich stellte mich vor ihn hin, obwohl mir das Herz bis zum Hals klopfte. »Wir haben Melanie gefunden.«
    Leons Gesicht wurde eine Sekunde lang ganz starr und ich sah, wie ihm der Schweiß auf die Schläfen trat. Aber er hatte sich sofort wieder im Griff. »Schön«, sagte er. »Dann komme ich ja doch noch zu meinem Vergnügen.«
    »Du bist das Letzte«, zischte ich, dann ließ ich ihn liegen und rannte in die Küche. Wo war die Schere hin, mit der Bastian meinen Draht gelöst hatte? Ich wollte nicht zu Leon sehen, musste es aber doch automatisch. Lag sie etwa noch dort, bei ihm? Wo war das Messer? Angst quoll in mir hoch, und wenn ich mich nicht zusammenriss, würde ich gleich wieder anfangen zu heulen. Ich sah gegen meinen Willen noch einmal zu ihm rüber. Er beobachtete mich. Belustigt.
    »Suchst du was?«, fragte er interessiert. Ich ignorierteihn. Kniete mich auf den Fußboden in der Küche. Mein Blick wanderte kurz zu dem Küchenschrank, wo oben die Spitzendeckchen der unbekannten Besitzer herausquollen. Zwischen mir und Leon war jetzt der Küchentresen. Gott sei Dank, so konnte er mich nicht sehen, die Küchenmöbel und all das gaben mir Blickschutz. Ich ihn allerdings auch nicht. Wo war die scheiß Schere, wo das Messer? Wo hatte Bastian die hingelegt?
    »Hey«, erklang wieder Leons Stimme. »Ihr wolltet doch so gern in meinem Krimi mitspielen. Die andere ist mir ja leider aus Versehen ertrunken, als sie abhauen wollte. Das hab ich dummerweise verpasst, war bestimmt gut.«
    Ich hielt den Atem an. So war das also. Ich hatte es zwar geahnt, aber es direkt aus Leons Mund zu hören, das war doch noch etwas anderes. Das blonde Mädchen hatte offenbar auch in dem winzigen Verschlag gesteckt? Und war dann dort ertrunken?
    »Du kannst im Knast zehn Krimis schreiben«, rief ich zurück. »Denn da wirst du für den Rest deines Lebens hocken.«
    »Ach ja? Da wäre ich mir nicht so sicher. Erst mal werde ich ein bisschen Spaß mit meinen beiden Freundinnen haben. Besonders mit dir. Du hast ja schon das Programm gelesen.« Hier wieherte er laut vor Vergnügen auf. Ich beschloss, nichts mehr zu sagen. Es hatte keinen Zweck, außerdem sah ich jetzt den orangefarbenen Griff der Schere. Sie musstevom Küchentresen gefallen und unter den Kühlschrank gerutscht sein. Ich streckte meine Hand danach aus. Und wenn ich Leon ignorierte, ärgerte ihn das viel mehr, so viel war klar. Vielleicht würde sich irgendwann eine Gefängnispsychologin diesen Psychopathen vorknöpfen und seine durchgeknallten Gehirnwindungen erforschen. Ich hatte es nicht vor und Leon schien dasselbe zu denken, denn er antwortete nicht mehr. Gott sei Dank. Ich kam wieder hoch, die Schere fest in der Hand. Nur das Plätschern des Sees von draußen war jetzt zu hören. Komisch war es allerdings schon, dass Leon so plötzlich verstummt war. Er hielt sich doch für den Größten und ließ sich wohl kaum von einem Teenager zurechtweisen. Egal. Ich nahm schnell ein Glas, um es am Wasserhahn für Melanie zu füllen. Während das Wasser einfloss, überkam mich auf einmal ein ganz eigenartiges Gefühl. Aus dem linken Augenwinkel hatte ich etwas wahrgenommen, das anders war als vorhin. Ich drehte mich langsam um, das Wasser floss weiter, floss über, spritzte auf den Boden. Ich schluckte. Etwas fing an, in meinem Bauch zu schlingern und zu meinem Kopf weiterzuwandern. Da war kein Leon mehr auf dem Boden. Da war nur noch durchgeschnittener Draht.
    Oh verdammt, was sollte ich jetzt tun? Was sollte ich nur machen? Ich saß hier fest wie eine Maus in der Falle. Um rauszukommen, musste ich mitten durch das Wohnzimmer laufen, vorbei an dem kleinenGang rechts, der zu den Schlafzimmern und dem Bad führte, und vorbei an der kleinen Wand, hinter die ich nicht sehen konnte. Leon konnte im Gang stehen, er konnte hinter der Wand hocken, hinter der Couch . . . Aber wenn ich hier einfach
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