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Tod sei Dank: Roman (German Edition)

Tod sei Dank: Roman (German Edition)

Titel: Tod sei Dank: Roman (German Edition)
Autoren: Helen FitzGerald
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Interessantem erfüllen könnte. Denn an ihm selbst war bei Gott nichts Interessantes.
    Er verstand, warum sie sich anfangs für ihn interessiert hatte. Er war jung und sah dem Vernehmen nach gut aus, und er hatte versprochen, sie reich und berühmt zu machen. Der erste Schritt hätte darin bestanden, ein umwerfendes Musikvideo zu produzieren. Während ihres ersten gemeinsamen Jahres hatte er mehrere Versuche unternommen, das Video aufzunehmen und zu schneiden, aber er war damit nie ganz fertig geworden. Vom Alkohol befeuerte Einfälle, die er abends, wenn er in seinem Büro auf dem Bettsofa saß, auf Zettel kritzelte, wurden bei den Aufnahmen am nächsten Tag nie richtig verwirklicht. Das Cynthia-Projekt endete in windschiefen Papierstapeln in seinem Büro, neben all den anderen unbeendeten Projekten, bis sie eines Tages beschloss, die Sache selbst zu Ende zu bringen. Sie stellte die Kamera auf, positionierte sich davor und sang. Sie ging mit ihren Bandkollegen unter die Leute. Nachts schnitt sie das Material mit seiner teuren Software. Sie filmte auch Will – um zu prüfen, ob alles richtig lief. Sagte sie.
    Sie hatte nicht mal eine Nachricht hinterlassen.
    »Bin gleich zurück«, hatte sie gesagt, sich ihre Patchwork-Umhängetasche mit dem Ethno-Muster geschnappt und war abgehauen. Er wusste gleich, dass sie abgehauen war.
    Si kam an diesem Abend vorbei. Er wohnte immer noch in Edinburgh, eine Stunde Autofahrt von Wills Haus in Glasgow entfernt. Sie hatten sich einige Jahre lang kaum gesehen, weil Will so sehr damit beschäftigt gewesen war, Windeln zu wechseln und Cynthia zu befriedigen. »Was für eine Schlampe!«, sagte Si, »was für eine Scheiß-Schlampe.« Er spendierte Will ein paar Biere zu viel, riet ihm, sie aufzuspüren und umzubringen, und fuhr dann nach Hause, um acht Stunden lang seinen Rausch auszuschlafen. Ganz im Gegensatz zu Will, der bloß zwei Stunden lang die Augen zubekam, weil Georgie dauernd aufwachte und »Wo ist Mami?« fragte.
    Verdammt gute Frage.
    Warum versuchte Will nicht, sie ausfindig zu machen? Warum setzte er nicht alle Hebel in Bewegung, bekam den Hintern hoch und bat sie, zurückzukommen? Er wusste es jetzt. Gut möglich, dass er es damals schon gewusst hatte, aber er hatte die Wahrheit in Wein ertränkt und mit sentimentaler Musik übertönt. Der Grund war folgender: Will Marion war ein nutzloser, fauler, hirntoter Vollidiot. Immer schon gewesen. Sein Vater hatte recht gehabt. Wenn Will früher sein Jahreszeugnis bekommen hatte, hatte sein Vater immer gefragt: »Gibt es irgend etwas, worin du gut bist, Junge?« Als seine Freundinnen ihm den Laufpass gegeben hatten, sagten beide etwas in der Art von: »Du wirst es nie zu etwas bringen, Will.« Als Wills Filmprojekte sich in Luft auflösten, hatte Si gesagt: »Was hast du erwartet, Alter? Du hast es nicht mal richtig versucht.«
    Aber warum nicht? Warum hatte er sich in der Schule nicht mehr angestrengt? Warum hatte er später nicht härter an seinen Beziehungen gearbeitet, an seinen Projekten? Die einfache Antwort lautete: Weil es ihm am Arsch vorbeigegangen war. Die kompliziertere Antwort lautete: Es war ihm am Arsch vorbeigegangen, weil er sich sicher gewesen war, dass er es nicht schaffte.
    Anstatt also bei dem Versuch zu scheitern, sie aufzuspüren und zum Zurückkommen zu bewegen, erfand Will lieber Ausreden. Praktische Ausreden wie das Babysitting. Seine Eltern würden ihm sowieso nicht dabei helfen, selbst wenn er sie darum bäte. Sie waren froh, dass Cynthia sich vom Acker gemacht hatte. Völlig aussichtslos, sie zu fragen, ob sie einige Tage lang auf die Mädels aufpassen könnten, während er sich an Cynthias Fersen heftete. Sie waren genau die Art von Großeltern, die ihren Freunden liebend gern erzählten, wie großartig ihre Enkelinnen seien, ohne das Geringste mit ihnen zu tun zu haben. Nachdem Cynthia abgehauen war, hatten sie ein einziges Mal auf die Kleinen aufgepasst, ungefähr eine Stunde lang. Es hatte also gar keinen Sinn, sie zu fragen, oder? Si fragte er schon deshalb nicht, weil der die Kinder zuverlässig zum Schreien brachte, sobald er nur ins Zimmer kam. Er fragte auch Janet nicht, und er heuerte keinen Babysitter an. Stattdessen redete er sich ein, dass es das »Warum« sei, das ihn davon abhalte, nach ihr zu suchen.
    Was hätte sich schon geändert, wenn er sie gefunden hätte? Sie liebte einen anderen. Sie nahm Heroin. Und mit tatkräftiger Unterstützung des Weins, den er trank, nachdem die
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