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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau
Autoren: Susanne Goga
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ihn herzlich.
     »Sie hab ick ja lang nich jesehn. Was darf's denn sein? Ick hab schönen
     Wirsing und Weißkohl, janz frisch vom Feld. Süße Äpfel,
     die kann ick nur empfehlen. Für die Dame des Hauses vielleicht, zum
     Backen?«
    Leo lächelte. Ilse
     backte gerne Apfelkuchen, er würde ihr zwei Pfund mitnehmen. Die
     Marktfrau packte die Äpfel in eine Papiertüte. »Den
     Wirsing müssen Se sich wohl untern Arm klemmen. Ick
     hoffe, der schöne Mantel wird nich dreckich.«
    »Danke, es geht schon.«
     Leo bezahlte und wandte sich zum Eingangsportal mit dem Spitzbogen. Er
     brachte seiner Schwester gelegentlich persönliche Kleinigkeiten oder
     Dinge für den Haushalt mit, um das empfindliche Gleichgewicht, in dem
     sie lebten und das mühsam erkämpft war, zu wahren.
    An diesem Abend begrüßte
     sie ihn allerdings mit einer Bitte, die ihn seine Mitbringsel sehr schnell
     vergessen ließ.
    »Ich möchte, dass
     du jemanden kennen lernst, Leo«, sagte Ilse Wechsler, als sie ihrem
     Bruder das Abendessen hinstellte. Leo schaute sie überrascht an.
    »Natürlich, wen
     denn?«
    »Er heißt Bruno
     Schneider. Wir haben uns schon öfter getroffen, aber ich wollte ihn
     dir erst vorstellen, wenn wir uns besser kennen.«
    Leo wusste, dass sich seine
     Schwester seit dem Sommer ein paarmal in einem Café oder zum
     Spazierengehen verabredet hatte. »Lade ihn doch für nächsten
     Sonntag zum Kaffee ein«, sagte er spontan und tauchte eine
     Pellkartoffel in den Schnittlauchquark auf seinem Teller.
    »Hast du einen Freund,
     Tante Ilse?«, fragte Marie neugierig. »Ist das der, den wir
     mal im Park getroffen haben?«
    Ilse errötete ein wenig
     und machte sich am Schrank zu schaffen. »Ja, Liebes, der ist es.«
    »Der mit dem schicken
     Auto?«, fragte Georg und grinste seinen Vater an.
    »Kinder, es reicht, ihr
     macht eure Tante ganz verlegen«, tadelte Leo die beiden, konnte sich
     aber ein Lächeln nicht verkneifen.
    Marie rutschte von ihrem
     Stuhl, lief ins Kinderzimmer und kam mit einem Briefumschlag zurück,
     den sie ihrem Vater stolz hinhielt. »Guck mal, ich hab Post
     bekommen. Von der Inge, vom Bauernhof.«
    Inge Matusseks Vater, ein
     Schuster aus der Nachbarschaft, hatte vor einigen Monaten seine Frau getötet
     und saß seitdem in Tegel ein. Die kleine Tochter der beiden war bei
     Verwandten untergekommen, die einen Bauernhof nördlich von Berlin
     besaßen. Ab und zu schickte sie Marie Wechsler selbstgemalte Bilder
     und kleine Nachrichten, die ihre Tante für sie geschrieben hatte.
     »Eine Kuh, ein Schaf, ein Hund«, riet Leo, als er die
     Buntstiftzeichnung betrachtete.
    »Nein«, lachte
     Marie und deutete auf das schwarz-weiße gehörnte Tier links im
     Bild. »Das ist eine Ziege. Sieht man doch.«
    »Ich finde, es sieht
     aus wie eine Kuh, aber wenn du meinst…«
    Als sie fertig gegessen
     hatten, schickte Leo die Kinder aus der Küche, zog Weste und Kragen
     aus und half seiner Schwester beim Abräumen. Obwohl er dem Besuch von
     Bruno Schneider so bereitwillig zugestimmt hatte, fühlte er sich
     nicht ganz wohl in seiner Haut, denn er hatte den Gedanken, Ilse könne
     einen Mann kennen lernen und heiraten wollen, lange verdrängt.
    »Gut, ich halte mir den
     Sonntag auf jeden Fall frei«, sagte er beiläufig. »Sollen
     wir Kuchen aus der Konditorei holen?«
    Ilse schüttelte den
     Kopf. »Ich backe lieber selbst. Du hast doch die schönen Äpfel
     mitgebracht, die sind genau richtig.« 
    Später, als Ilse zu Bett
     gegangen war, stand Leo nachdenklich am Wohnzimmerfenster und sah auf die
     stille, dunkle Straße hinunter.
    Manchmal hatte er sich
     vorgestellt, wie es wäre, wieder zu heiraten. Eine Frau, die auch mit
     den Kindern auskam. Doch dazu musste er sich erst verlieben; nur um der
     Kinder willen zu heiraten kam für ihn nicht in Frage. Dann
     allerdings, und hier schloss sich der Kreis, wäre Ilse allein. Sie
     war nach Dorotheas Tod zu Leo gezogen, um dessen mutterlose Kinder zu
     bereuen, undenkbar, dass sie mit einer neuen Schwägerin die Wohnung
     teilen würde.
    Im Hinausgehen bemerkte Leo
     ein Buch auf dem Tisch. Märchen von Hans Christian Andersen. Er
     schlug es auf. Innen ein Stempel mit der Aufschrift Leihbücherei
     Clara Bleibtreu. Er klappte es zu und strich flüchtig mit der Hand
     über den Einband.
    *
    Zuerst hatte es Arnold Wegner
     gestört, als der Junge vor dem Fenster auftauchte, die Hände in
     den Taschen der zerschlissenen Hose, den Mund offen und ein
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