Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Moseltal

Tod im Moseltal

Titel: Tod im Moseltal
Autoren: Carsten Ness
Vom Netzwerk:
Eingangstür sowie an der linken Seitenwand war jeweils eine Fensteröffnung. Die anderen beiden Wände waren fensterlos. Das Erdgeschoss bestand aus einem einzigen großen Raum. Als Fußboden diente die blanke Bodenplatte, die Wände waren auch innen unverputzt und rau. An der Wand zum Nachbarhaus führte eine Betontreppe in die erste Etage. Er war gerade dabei, die Treppe zu ertasten, als er draußen neben dem Haus Geräusche hörte, die sich langsam näherten.
    Er drückte sich in die Zimmerecke neben dem Frontfenster und wartete. Das Geräusch zog langsam vor das Fenster und stoppte. Thomas hörte nur das leise Prasseln des Regens und ein leichtes Rauschen in den Bäumen. Er hielt die Luft an. Wieder das Geräusch, wie wenn jemand nur ein, zwei Schritte tut. Erneut Pause. Schweiß lief ihm den Rücken hinunter und trat ihm auf der Stirn aus allen Poren. Wieder zwei Schritte und dann …
    Erleichtert atmete er aus. Es folgte ein gleichmäßiges dumpfes Klackern auf der Betonstraße, das sich nun rasch entfernte. Er sah aus der Fensteröffnung und erblickte noch das Hinterteil eines dahintrabenden Rehbocks.
    Thomas öffnete den Reißverschluss an der Brustseite des Overalls und fuhr sich mit der Hand über die nass geschwitzte Brust. Die Anspannung löste sich etwas. Damit einher ging die Einsicht, dass er nicht auf das unausweichliche Zusammentreffen warten durfte. Sobald er nur ein wenig mehr Sicht hätte, würde er sich auf die Suche nach Mazzomaid machen.
    Es war ein unbeschreibliches Hochgefühl, das sich bei ihm einstellte. Augenblicklich lief vor seinem inneren Ohr das Leitmotiv von John Williams’ Filmmusik zu »Star Wars« ab. Er spürte förmlich, wie die Fanfaren aus den umliegenden Bäumen den offenen Platz beschallten, der zwischen ihm und dem Haus lag, in dem das Schwein soeben verschwunden war. Er war gekommen. Er hatte es gewusst.
    Der Regen trommelte auf die Bitumenbahnen über dem Dachgebälk. Nach dem ersten Überschwang der Emotionen war er sofort wieder wachsam. So wie er in das Haus gekrochen war, musste er allein sein, ohne eine Rückendeckung, die er früher immer benötigt hatte. Doch sicher war sicher. Sorgfältig beobachtete er die Umgebung.
    Zehn, fünfzehn Minuten lang geschah nichts. Dann nahm er eine Bewegung neben dem Haus wahr. Hatte das Schwein es doch gewagt, Verstärkung mitzubringen? Die Anspannung wich genauso schnell, wie sie gekommen war, als er den Rehbock erkannte. Er schob sich entlang dem Krautsaum vor, langsam vor sich hin äsend. Als der Bock den Betonweg überquerte, entdeckte er das vor Erleichterung entgleiste Gesicht seines Gegners. Seit zwanzig Jahren hatte er diese Visage nicht mehr so deutlich vor Augen gehabt, und dann ausgerechnet jetzt, nachdem sich das Schwein vor Angst wahrscheinlich fast in die Hose geschissen hatte. Mazzomaid spürte eine Genugtuung, und er wollte sie weiter auskosten, wollte mit ihm spielen wie die Katze mit der Maus.
    Er überlegte, wie er am besten zu dem gegenüberliegenden Reihenhaus gelangen konnte. Es lagen nur etwa fünfundzwanzig Meter zwischen den beiden Gebäuden. Auch wenn es noch stockdunkel war und er sich ganz in Schwarz gekleidet hatte, wollte er es noch vermeiden, vom Schwein entdeckt zu werden. Andererseits konnte er ihn auch nicht mehr aus den Augen lassen, jetzt, wo er ihn bereits einmal erblickt hatte.
    Er nutzte den Mittelweg. Von Fenster zu Fenster ging er zur abgewandten Giebelwand. Stieg rasch die Treppe hinunter, glitt blitzschnell aus der seitlichen Fensteröffnung, stand im selben Atemzug an der Hausecke und blickte in deren Schutz Richtung Reihenhaus. In den wenigen unbeobachteten Sekunden konnte das Schwein nicht entkommen sein.
    Geduckt schlich er über den Betonweg. Weil er den Blick stets auf das Haus gerichtet hielt, wäre er fast über einen kleinen Grashorst gestolpert, der sich den Weg durch den Beton gebahnt hatte. Hinter einem Haufen aus Bauschutt ging er in Deckung. Der Regen war etwas schwächer geworden, und langsam zeichneten sich unterschiedliche Grautöne am Himmel ab. Doch er wollte die Dunkelheit noch für sein Spiel nutzen, musste sich deshalb beeilen. Er schlich weiter durch das regennasse hüfthohe Gras. Die Feuchtigkeit, die sich unbeirrt den Weg durch seine Kleidung suchte, nahm er nicht wahr. Hinter einem Gebüsch ging er in die Hocke. Von hier aus konnte er mit Hilfe des Nachtsichtgerätes durch die verschiedenen Öffnungen in den unteren Raum blicken, in dem er das Schwein hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher