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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Bränden, die noch am Glimmen waren, vermischte sich mit den Wolken, verdunkelte die ferne
Sonne und tönte das Meer in rötlich trübes Licht. Am Himmel sahen wir eine ziemlich große Zahl von Hubschraubern und Militärflugzeugen vorbeiziehen. Doch nur wenige Schiffe bewegten sich längs der Küste; alle Häfen waren zerstört, die großen Frachter zerschmettert und die Strömung noch so gewaltig, dass sich kaum Rettungsmannschaften auf See wagen konnten. Kein Wunder, dachte ich, dass Hilfskräfte nur so spärlich eingesetzt werden können. Es fehlte ja an allem, auch an Treibstoff. Im Flughafen von Sendai hatten die Wassermassen Flugzeuge wie Spielzeug herumgeschleudert, die Rollbahnen waren eine einzige Wasserfläche, und die abgerissenen Stücke der Autobahn lagen kreuz und quer auf den Feldern, vermischt mit den Trümmern von Lagerhäusern, Tankstellen und zerstörten Wagen. Und wahrscheinlich gab es Tausende von Menschen, von denen man niemals erfahren würde, was aus ihnen geworden war. Ein ganzer Zug ging bei dem Unglück verloren. Ein Hochgeschwindigkeitszug mit allem Schnickschnack. Nur ein paar Stunden zuvor waren wir mit diesem Zug gefahren. Und dann geriet dieser Zug in eine völlig undenkbare Katastrophe. Gehemmt durch das Beben, sanken die Räder bis zur Achse ein, und dann kam die Riesenwelle, der Zug kippte um, wurde gegen die Betonwand eines Bahnhofs geschleudert. Man hat ihn erst viel später entdeckt; er lag, mit den Leichen von mehreren Hundert Reisenden, eingedrückt unter sechs Metern Schlamm begraben. Der Blick in solche Abgründe erschüttert, denn dieses Grauenhafte ist erschreckender als die Finsternis in uns selbst. Ich sperrte mich gegen diese Gedanken. Was uns hier umgab, war schon schrecklich genug. Ich hatte zu viel Einbildungskraft.
    Matsuo war langsam gegangen, blieb oft stehen. Schwäche war es nicht. Sein Blick ging in die Ferne. Ich spürte, tausend Erinnerungen waren lebendig in ihm. Er betrachtete
die Insel, die vertraute Landschaft, die nicht mehr vertraut war, machte sich ein Bild von den Verwüstungen. Doch er ging weiter, er war ein Mensch der Tat, ebenso wie die anderen Inselbewohner, deren Silhouetten wir in der Ferne sahen. Sie versuchten zu retten, was noch zu retten war. Aber das Einzige, was ihnen blieb, waren die Kleider, die sie am Leib trugen. Und für einige von ihnen die Gewissheit, dass ihre Angehörigen in Sicherheit waren, und als Hoffnung auf die Zukunft das Gefühl, ein Gestern gehabt zu haben.
    Inzwischen ging Onkel Matsuo in missbilligendem Schweigen weiter. Wir stapften kleinlaut hinter ihm her. Er ging einfach querfeldein auf das Haus zu, das jetzt nur noch ein Haufen von Trümmern war. Es sah aus, als ob ein gewaltiger Hammerschlag das Dach seitwärts nach unten gepresst hatte. Als ich das Haus nach der ersten starken Erschütterung gesehen hatte, hatte es bereits keine Fenster und Türen mehr gehabt, die Ziegel waren eingebrochen gewesen, aber immerhin, es stand! Jetzt lag es da. Die Nachbeben hatten die Wände, die schon aus dem Gleichgewicht geraten waren, endgültig zerdrückt. Der Bach, der bei unserer Ankunft friedlich geplätschert hatte, war mit einem Wall aus Steinen, Ziegeln, Möbeln- und Mattenresten, aufgeweichten Schachteln und zerbrochenem Geschirr und allem Möglichen sonst noch verstopft und hatte sich in viele kleine Rinnsale geteilt, die sich zu schlammigen Pfützen ansammelten. Dann und wann ließ das Wasser ein dumpfes, unheimliches Glucksen hören, die eingestürzten Balken quietschten unter der Last des eingedrückten Vordaches. Der Boden selbst, auf dem wir standen, war zerschmettert, jede Spalte mit schmutzigem Wasser gefüllt, lauter Trümmer trieben umher wie in einem Meer der Verzweiflung. Der faulige Geruch nach verschmutzter Erde, nach Schutt und Aschenregen legte sich wie ein klebriger Film auf unsere Haut.

    Matsuo betrachte reglos das Chaos. Er machte den Eindruck, als ob er im Stehen schlief. Sein Gesicht war aschfahl geworden. Vorsichtig machte Mia einen Schritt auf ihn zu.
    Â»Onkel Matsuo? Fühlst du dich nicht wohl?«
    Er gab keine Antwort, rührte sich nicht von der Stelle. Vorsichtig trat ich neben ihn.
    Â»Onkel Matsuo? Willst du dich nicht einen Augenblick setzen?«
    Er stand leicht vornübergebeugt, als sei er in Gedanken versunken. Endlich bewegte sich der alte Mann, griff sich mit beiden Händen
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