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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens
Autoren: West Morris L.
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arbeite für einen Mann, den ich außerordentlich verehre und der mich so wenig achtet wie den jüngsten Bürogehilfen. Was kann ich dagegen tun? Was ist los mit mir? Du bist Psychiater. Du siehst deinen Patienten ins Herz. Was steht in den Herzen meiner Frau und ihres Vaters?«
    Landon runzelte die Stirn und steckte die Pfeife wieder in den Mund. Sein Berufsinstinkt warnte ihn vor so unzeitigen Intimitäten. Ihm fielen ein Dutzend Ausflüchte ein, mit denen er sich herausreden konnte. Aber das Unglück dieses Mannes war offenkundig und seine Einsamkeit im eigenen Haus seltsam schmerzlich. Auch hatte er dem Hausgast seines Schwiegervaters mehr als bloße Höflichkeit bezeigt, und Landon fühlte sich nun zu seiner eigenen Überraschung zur Dankbarkeit verpflichtet. Er zögerte einen Augenblick und sagte dann vorsichtig:
    »Du kannst den Kuchen nicht gleichzeitig essen und behalten, Carlo. Wenn du einen Psychiater brauchst – und das glaube ich nicht –, dann solltest du einen Landsmann konsultieren. Mit dem hast du die Sprache und bestimmte Vorstellungen und Begriffe gemein. Wenn du dagegen einem Freund dein Herz ausschütten willst, dann ist das ganz was anderes. Gewöhnlich das bessere Rezept, würde ich sagen.« Er lachte belustigt vor sich hin. »Aber sag das nicht meinen Patienten, sonst bin ich in einer Woche ruiniert.«
    »Sagen wir also Herz ausschütten, wenn du's so willst«, sagte Rienzi in seiner traurigen Art. »Aber siehst du nicht: Ich bin gefangen wie ein Eichhörnchen im Käfig.«
    »Durch die Ehe?«
    »Nein – durch Ascolini.«
    »Du magst ihn nicht?«
    Rienzi zögerte, und in seiner Antwort lag viel Müdigkeit, Verdruß und Resignation:
    »Ich verehre ihn ungemein. Er ist eine einmalige Begabung und ein großer Anwalt.«
    »Aber?«
    »Aber ich bin einfach zuviel mit ihm zusammen, nehme ich an. Ich arbeite in seinem Büro. Meine Frau und ich leben in seinem Haus. Und seine ewige Jugend bedrückt mich.«
    Es war ein seltsamer Gedanke, doch Landon verstand ihn. Die Erinnerung an die erste Cocktailparty in Ascolinis Haus in Rom tauchte vor ihm auf, als Ascolini und seine Tochter ihre distinguierten Gäste unterhielten, während Carlo verloren im Mondschein auf der Terrasse hin und her ging. Sein Gefühl für den jungen alten Mann mit dem zu empfindsamen Mund und den beherrschten Künstlerhänden wuchs. Er fragte leise:
    »Mußt du denn mit ihnen leben?«
    »So heißt es«, sagte Rienzi mit resignierter Bitterkeit. »Es heißt, ich schulde es ihm. Für meine Karriere, die er mir bietet. In Italien ist der Anwaltsberuf überbesetzt und die Förderung eines Großen selten zu finden. Auch für meine Frau schulde ich ihm Dank. Und sie schuldet ihm als einziges Kind Dank dafür, daß er ihr seine Liebe, Sicherheit und das Versprechen einer großen Erbschaft gegeben hat.«
    »Und Ascolini besteht auf Bezahlung?«
    »Von uns beiden.« Er hob ergebungsvoll die Schultern. »Von mir Loyalität und Einverständnis mit seinen Plänen für meine Karriere. Von meiner Frau eine – eine Art Verschwörung, in der sie ihm ihre Jugend schenkt, statt mir.«
    »Wie empfindet deine Frau die Lage?«
    »Valeria ist eine einzigartige Frau«, sagte Rienzi matt. »Sie kennt ihre Pflichten, die Anhänglichkeit einer Tochter, und ihre Schulden. Auch hat sie ihren Vater sehr gern und liebt seine Gesellschaft.«
    »Mehr als deine?«
    Er lächelte wieder sein jungenhaftes unsicheres Lächeln, das ihm soviel Charme verlieh. »Er hat viel mehr zu bieten als ich, Peter«, sagte er leise. »Ich kann die Welt nicht mit den Fingerspitzen lesen. Ich bin weder selbstbewußt noch erfolgreich – so gern ich beides wäre. Ich liebe meine Frau – aber ich fürchte, ich brauche sie mehr als sie mich.«
    »Die Zeit mag das ändern.«
    »Das bezweifle ich«, sagte Rienzi scharf. »In diese Verschwörung sind andere verwickelt.«
    »Andere Männer?«
    »Verschiedene. Aber das beunruhigt mich viel weniger als meine eigene Unzulänglichkeit als Ehemann.« Er stand auf und ging zu den Glastüren, die über die Terrasse in den Garten führten. »Laß uns ein Stück gehen, ja?«
    Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander die Zypressenallee entlang, zwischen deren grünen Säulen der Himmel zum Greifen nah zu sein schien und die Landschaft sich in einer Farbenvielfalt aus dunklen Oliven, grünen Weingärten, braunem Brachland und reifem, windgekämmtem Korn zum hügeligen Horizont hin erstreckte. Die Zeit, dachte Landon zynisch, heilt
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