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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn
Autoren: J Tan
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Mutter und Tochter beinahe zusammen. Die Frauen lachten verwundert über den freudigen Zufall und umarmten sich herzlich.
    Doch so zufällig war ihre ungeplante Begegnung gar nicht, denn Agatha und Ragnhild verbrachten viel Zeit miteinander.
    Runas Meinung nach waren diese übermäßig häufigen Besuche noch immer ein Zeichen dafür, wie sehr ihre Mutter ihr vor sechs Jahren neu begonnenes Leben und die damit gewonnene Freiheit genoss.
    Nachdem man Runas Vater vor nunmehr zwanzig Jahren während einer Flandernreise fälschlicherweise für tot erklärt hatte, wurde Ragnhild zunächst zur Witwe und daraufhin zur Ehefrau von Symon von Alevelde. Er war ihr ein grausamer Gemahl gewesen, der sie jahrelang wie eine Gefangene im eigenen Hause gehalten hatte. Doch mit dem großen Brand war diese schlimme Zeit endlich zu Ende gegangen. Nachdem Symon in den Flammen sein Leben gelassen und Albert sein zweites Weib im Kindbett verloren hatte, heirateten Ragnhild und Albert erneut.
    Seitdem hielt es Runas Mutter nie lange im Haus. Kein noch so unbehagliches Wetter konnte sie davon abbringen, wenigstens einmal am Tage in den Hof zu gehen oder aber ihre Freundin Agatha zu besuchen. Niemals mehr wollte sie sich eingesperrt fühlen!
    »Weiß dein Gemahl, dass du seine Münzen wieder in Agathas Tuche steckst, mein Kind?«, fragte Ragnhild ihre Tochter mit gespieltem Ernst.
    Runa lächelte ertappt. »Ich bin nur wegen Freyja hier. Du kennst sie ja. Kaum lässt man sie aus den Augen, kriecht sie auch schon auf dem Boden herum. Ihr Saum ist wie so oft total zerschlissen.« Dann wandte sie sich an Agatha, die wie immer ein makelloses Kleid mit hübschen Verzierungen trug, welches ihre Schneiderkunst in bester Weise bewarb. Es war ganz in Blau gehalten und hatte weite Ärmel, deren untere Enden fast bis zum Boden reichten. Um besser arbeiten zu können, knotete sie die Spitzen stets auf dem Rücken zusammen.
    »Sag, Agatha, hast du vielleicht noch ein Tuch, das zu Freyjas Kleidchen passt?« Runa zog es aus ihrem Beutel hervor und reichte es Agatha. Kurz darauf war diese schon zwischen ihren Rollen verschwunden, die überall herumstanden. Es war Runa unverständlich, wie sich die Schneidersfrau in diesem Gewühle merken konnte, wo sie welche Tuche aufbewahrte, doch nur wenig später kam sie tatsächlich mit einem feinen Wollstoff in ähnlicher Farbe wie Freyjas Kleidchen zurück.
    »Was hältst du davon, Runa?«, fragte Agatha sichtlich stolz darüber, wieder einmal das Passende gefunden zu haben. Dann schaute sie sich prüfend um. Ihr Mann Voltseco war gerade mit einem reichen Kaufmann beschäftigt, sodass er nicht hören konnte, was sie ihren Freundinnen zuflüsterte. »Von dieser Rolle habe ich nur noch einen Rest. Ich gebe ihn dir einfach so mit. Und nun geht schnell, bevor mein Voltseco etwas mitbekommt. Wir sehen uns morgen in der Kirche.«
    Nachdem Runa durch den überstürzten Aufbruch erfolgreich davon abgehalten wurde, Agathas halben Tuchbestand aufzukaufen, schlenderten Mutter und Tochter Arm in Arm zurück. Sie hatten denselben Weg, wohnten sie doch beide in der Reichenstraße.
    Einst hatte Albert das abgebrannte Grundstück auf der Grimm-Insel, welches er von seinem Vater geerbt hatte, an Thiderich verkauft und war mit Ragnhild, Margareta und der Magd Marga zurück ins St.-Petri-Kirchspiel gezogen, wo er aufgewachsen war. Der Brand hatte nichts von dem Familiensitz verschont. Dort, wo früher das prächtige Fachwerkhaus der Eltern gestanden hatte, ragten nur noch die verkohlten Fundamentbohlen und Tangen heraus, die ehedem das Wandfundament gehalten hatten.
    Alberts Familie hatte dieses Schicksal mit allen Bewohnern der Reichenstraße geteilt, und viele hatten beschlossen, dass sie so ein Unglück nicht noch einmal zulassen würden. So baute Albert sein nächstes Haus aus Stein, und zahlreiche Hamburger taten es ihm gleich. Heute war die Reichenstraße gesäumt von den Steinhäusern der vermögenden Familien, die es geschafft hatten, ihre Geschäfte nach dem Brand wieder aufzunehmen. Auch Albert war dies mithilfe seiner Freunde gelungen, und so konnten sich auch Walther und Thiderich ein festes Steinhaus leisten.
    Runas und Walthers Heim bestand aus einem recht schmalen, dafür aber hohen Sandsteinbau mit abschließendem Treppengiebel und einem kleinen Hof zum Reichenstraßenfleet. Nur zwei Häuser weiter befand sich das Haus von Ragnhild und Albert, das ebenfalls aus Sandstein, doch fast doppelt so groß war. Das
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