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Tochter der Träume / Roman

Tochter der Träume / Roman

Titel: Tochter der Träume / Roman
Autoren: Kathryn Smith
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Haar zu einem lockeren Knoten hoch. »Hast du Noahs Akte zur Hand?«
    »Aber gewiss doch.« Sie nahm eine dicke Akte von dem Stapel auf ihrem Schreibtisch und reichte sie mir.
    Ich musterte Bonnie skeptisch – und reichlich amüsiert. »Na, nun sag schon – wie oft hast du dir die Bilder angesehen?«
    Bonnie lächelte. »Ein paar Mal«, meinte sie, keine Spur beschämt.
    Das war glatt untertrieben, und ich musste lachen. »Du bist ganz schön verdorben, weißt du das?«
    Ihr Lächeln wurde breiter – ihr Lippenstift passte perfekt zu ihren Nägeln. »Ganz recht. Aber jetzt wartet dein Patient auf dich, Frau
Doktor

    Sie liebte es, mich so zu nennen. Nicht, dass ich die einzige Frau im Team gewesen wäre, aber ich hatte hier bereits angefangen, bevor ich meinen Doktortitel gemacht hatte. Bonnie war eine der Ersten gewesen, die mir am Tag der offiziellen Verleihung herzlich dazu gratuliert hatten – gleich nach meinem Bruder, der zur Feier des Tages aus Toronto gekommen war. Meine Schwestern und mein Vater hatten es nicht einrichten können, und meine Mutter … nun ja. Sie war der Grund, warum sie nicht kamen. Denn keiner von ihnen brachte es übers Herz, von ihrer Seite zu weichen, »nur für den Fall«. Für den Fall, dass sie aufwachte.
    Aber das hatte sie natürlich nicht getan. Hätte ich es fertiggebracht, mit ihnen über dieses Thema zu reden, ohne in maßlose Wut zu geraten, dann hätte ich ihnen erzählt, dass sie sich wegen Mom nicht zu sorgen bräuchten. Aber dann hätte ich auch erklären müssen, woher ich so sicher wusste, dass sie nicht aufwachen würde – und sie hätten mich für verrückt erklärt.
    »Übrigens«, sagte Bonnie noch, bevor ich den Empfang verließ, »Canning und Revello sind heute Morgen ziemlich aufgeregt. Keine Ahnung, warum. Ich jedenfalls würde den beiden aus dem Weg gehen, es sei denn, du willst unbedingt wissen, was los ist.«
    Bonnie gab nicht viel auf Dr.Canning. Ich wusste nicht genau, warum, aber er machte es einem auch nicht gerade leicht, ihn zu mögen. Er war ein ausgezeichneter Arzt, keine Frage, und er leistete hervorragende Arbeit. Allerdings hatte ich manchmal den Eindruck, dass es ihm mehr um sein berufliches Image als um die Patienten ging. Er war einmal zu Gast in Oprah Winfreys Talkshow gewesen, und seither prangte unübersehbar an der Wand hinter seinem Schreibtisch ein Foto, das ihn mit der amerikanischen Talkqueen zeigte.
    Ich grinste Bonnie kurz an. »Dann werde ich mich mal in Acht nehmen.«
    Lächelnd verließ ich den Empfang, die dicke Akte in der Hand. Ich schlug sie auf, während ich über den cremefarbenen Teppichboden des hell erleuchteten Korridors mit den graugrünen Wänden ging. Ich konnte es Bonnie nicht verübeln, dass sie sich die Bilder von Noah angesehen hatte, die im Rahmen der Schlafstudie von ihm aufgenommen worden waren. Ich gehörte zwar nicht zu dem Team, hatte aber jederzeit Einsicht in seine Akte, da er auch einer meiner Patienten war. Noah war groß, dunkelhaarig, sexy – einfach unwiderstehlich, egal, ob er gerade wach war oder schlief. Er war keiner dieser Sabberer, denen im Schlaf der Mund offen hing. Meist schlief er seelenruhig auf dem Rücken, die Arme seitlich angelegt, in perfekter Schlafpose wie ein Schauspieler im Fernsehen – vor welchem ich entschieden zu viel hockte.
    Noah gehörte zu den wenigen Menschen, denen ich bislang begegnet war, die sich den Schrecken ihrer Träume stellten. Er war einer meiner ganz besonderen Patienten, denn er war ein luzider Träumer – ein Klarträumer, der klarste, den ich je erlebt habe. Was er auch träumte, Noah vermochte den Traumverlauf zu steuern, ohne aufzuschrecken oder aufzuwachen.
    Ich arbeitete noch nicht lange mit Noah, doch er war ein Patient, auf den ich mich wirklich freute, und das meine ich ganz professionell – zumindest mehr oder weniger. Als ich ihn gefragt hatte, ob er sich für eine meiner Studien zur Verfügung stellen wolle, hatte er keine Sekunde gezögert. Unter den Patienten, die ich betreute, gab es etliche, die in ihren luziden Träumen verschiedene Stufen erreichten, doch an Noah kam keiner heran.
    Ich liebte es, seine Träume mit ihm zu besprechen, wenn er mir erzählte, wie er die Dinge gewandelt und den Verlauf der Träume seinem Willen unterworfen hat. Ich schrieb fleißig mit, während wir seine Träume bis ins Detail diskutierten und überlegten, was sie bedeuten könnten. Seine Träume waren so lebendig, dass ich mich fast in sie
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