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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
Autoren: Margaux Fragoso
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meinem Vater verprügelt wurde. Sie sagte, ich sei mit drei Jahren Zeuge gewesen, wie er einen großen Bilderrahmen auf ihrem Rücken zertrümmerte, doch ich sei zu klein gewesen, um mich noch daran zu erinnern. Was ich jedoch weiß, ist, dass mein Vater oft die Lichter an- und ausknipste, um sich über die Nervenkrankheit meiner Mutter lustig zu machen. Meine Mutter, mein Vater und ich schliefen in einem riesigen Doppelbett, weil ich ständig Alpträume hatte und auf gar keinen Fall allein im Bett liegen wollte. Um besser schlafen zu können, breitete mein Vater ein aus einem alten Unterhemd geschnittenes Stück Stoff über seine Augen, und ich fand, er sah mit seinem kastanienbraunen Bart und dem langen braunen Haar wie ein Gangster aus. Wenn er guter Laune war, erzählte er mir morgens Geschichten über einen schelmischen Affen, einen bösen Frosch und einen geduldigen weißen Elefanten. Die Geschichten spielten in Carolina in Puerto Rico, wo er aufgewachsen war. Manchmal erzählte er mir auch von seiner Kindheit: Wie er immer die hohen Kokospalmen hinaufgeklettert war, Arme und Beine um die groben Stämme geschlungen, und sich mit eigener Kraft zentimeterweise hochgehievt hatte.
    Mein Vater erzählte gerne Geschichten. Dabei übertrieb er und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. Er kümmerte sich um unseren Haushalt, um Kochen und Putzen, weil er behauptete, meine Mutter sei dazu nicht in der Lage, sie könne nur unsere Klamotten in den Waschkeller bringen und im nah gelegenen Supermarkt einkaufen. Sie brachte die Lebensmittel in einem kleinen roten Wägelchen heim, weil sie nicht Auto fahren konnte. Doch sie kaufte immer mehr als nötig und gab zu viel Geld aus, worüber Poppa sich dann aufregte.
    Poppa war ein derart nervöser Typ, dass ich nie verstanden habe, wie er einen Beruf ergreifen konnte, bei dem er den ganzen Tag stillsitzen musste. Er war Goldschmied, spezialisiert auf Eigenentwürfe und deren Umsetzung. Zudem schliff, fasste und polierte er Edelsteine und führte Reparaturarbeiten durch. In den achtziger Jahren hatten Goldschmiede noch keine ergonomisch geformten Werkbänke, sondern arbeiteten den ganzen Tag vornübergebeugt.
    Wenn Poppa nach Hause kam, war er immer so gereizt, dass er sich wie ein von der Leine gelassener Hund aufführte. Manchmal auch war er in Hochstimmung, dann riss er Heineken-Dosen auf, während er das Abendessen zauberte, holte die Gewürze singend aus Schubladen und Schränken, bot mir Kostproben seiner Kochkunst auf dem Löffel zum Probieren an oder überließ mir den Reistopf, damit ich die leicht angebrannten knusprigen Körner vom Boden kratzen konnte, von Poppa »Popcornreis« genannt. Wenn er gut aufgelegt war, zupfte er gerne an meiner Nase – seine Art, mir seine Zuneigung zu zeigen, da er mir nur selten einen Kuss gab. Unterdessen lag meine Mutter im Schlafzimmer und lauschte ihren Singles von John Lennon, der Musik von West Side Story , der Sunshine -Platte oder Simon and Garfunkel . Sie kam erst heraus, wenn das Essen auf dem Tisch stand, weil sie wusste, dass mein Vater schlechte Laune bekam, sobald er sie sah. Meine Mutter erzählte mir, als sie sich einmal vor dem Fenster entkleidete, habe Poppa die Vorhänge zugezogen und gesagt: »Du bist kein hübsches Mädchen, du bist eine fette Kuh, dich will niemand sehen.«
    Wenn Poppa mit schlechter Laune nach Hause kam, verdrückte ich mich mit Mommy ins Schlafzimmer und drehte ihren Plattenspieler laut auf. Wir bauten uns eine kleine Festung aus Kissen und warfen uns den Quilt über den Kopf. In unserer Höhle lag ich, nuckelte an meinem Plastikschnuller (sogar noch mit fünf und sechs) und drückte mir einen gelben Stoffhund an die Wange, dessen kariertes Ohr durch mein ständiges Herumgezupfe eingerissen war. Poppa schimpfte, sein Chef würde ihn ständig herunterputzen, oder die Geschäfte liefen gerade schlecht. Mindestens einmal im Jahr war Poppa arbeitslos, da es in der Schmuckbranche nach Weihnachten nicht sehr viel zu tun gab. Er redete sich bei seinen Schimpftiraden so in Rage, dass sie zu unkontrollierten Wutausbrüchen wurden, die stundenlang andauern konnten. Wenn es so weit war, glich er einem Besessenen, und wir hatten Angst, in seine Nähe zu kommen. Er tobte, wir hätten ihn zu einem Leben in Elend verdammt, er würde nie wieder frei sein, Gott könne ihn nicht mehr in die Hölle schicken, weil er schon längst mittendrin sei, und er fragte sich laut, was er denn getan habe, um gleich doppelt
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