Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany
Autoren: Felix Thijssen
Vom Netzwerk:
In diesem Fall konnte auch der Strich nicht weit sein. Ich studierte den Stadtplan von Amsterdam und begab mich auf eine Rundfahrt, obwohl es noch helllichter Tag und damit eigentlich zu früh für das Treiben auf dem Straßenstrich war, der erst nach Einbruch der Dunkelheit so richtig in Gang kam.
    Beinahe wäre ich daran vorbeigefahren. Als ich auf der anderen Seite des Kanals um eine Kurve bog, sah ich plötzlich im Rückspiegel ein Mädchen unter den Bäumen stehen. Ein paar Meter weiter kam ich an eine Ampel auf einer Verkehrsinsel, an der ich links abbiegen konnte. Ich wendete in der Querstraße und fuhr zurück.
    Die Stelle machte einen guten Eindruck. Hier konnten die Freier die Nutten auflesen, ohne den Verkehr zu behindern, und unsere Wohngegend lag so nahe, dass die Frauen nur fünf Minuten zu Fuß zu gehen brauchten, falls ein Kunde sich weigerte, sie zu ihrem Standort zurückzubringen. Ich hatte zwar nie bei der Sitte gearbeitet, konnte mich aber noch gut an die Zeiten erinnern, als Zuhälter und Prostituierte nach und nach gutbürgerliche Viertel in zweifelhafte Gegenden verwandelten, indem sie Zimmer anmieteten und die Bürgersteige unsicher machten. Bis es den Anwohnern irgendwann zu bunt wurde und sie sich beschwerten oder auf die Barrikaden gingen, sodass die Polizei Razzien durchführen und das Problem an einen anderen Ort verlagern musste.
    Das waren jene unschuldigen Jahre gewesen, in denen die Heroin- und Crackhuren noch nicht die Rotlichtszene in der ganzen Stadt in ein unbeherrschbares Chaos verwandelt hatten. Heutzutage dachten die Ordnungshüter oft geradezu wehmütig an ihren alten Feind, den aalglatten Zuhälter, zurück, der seine Mädchen zumindest einigermaßen unter Kontrolle hatte. Es war doch wirklich bizarr, dass mittlerweile die Heroinhuren, die noch nicht auf Crack waren, auf der Stufenleiter der Verelendung noch zur besseren Klasse gezählt wurden.
    Die Beine unter dem winzigen weißen Lederlappen um ihre Hüften wirkten lang, und sie irrte offensichtlich in jenem Drogennebel umher, der den Gesichtsausdruck zunehmend der Realität entrückt erscheinen lässt und auch den Körper mehr und mehr auszehrt, bis nur noch ein schmutziggraues Gespenst übrig bleibt.
    Sie beugte sich zu meinem offenen Seitenfenster herunter. Trotz der Drogen zog sie sofort eine Grimasse instinktiven Wiedererkennens. »Oh, Scheiße …«
    Ich hielt eine zusammengefaltete Banknote hoch. »Hier, kannst du dir ganz leicht verdienen.«
    »Ich brauche kein Taxi zum Theemsweg.« Sie wischte eine Gardine von stumpfem, schulterlangem Haar vor ihren Augen beiseite, eine grotesk weibliche Geste. Sie hatte tief liegende Augen und ein so müdes Gesicht, als hätte sie hundert Tage und Nächte lang durchgefeiert. »Euch Bullen riech ich doch schon auf zehn Kilometer Entfernung«, sagte sie.
    »Vielleicht solltest du mit deiner Nase mal zum Arzt gehen«, erwiderte ich. »Steig ein. Ich will nur mal kurz mit dir reden, vielleicht kannst du mir helfen.«
    »Au weia, ein Sozialarbeiter, ist ja noch schlimmer.«
    »Wieso, sehe ich so aus?«
    »Na ja, manche Sozialarbeiterinnen verkleiden sich sogar als Nutten, in der Hoffnung, dass wir dann eher auf sie hören. Aber wenn ich quatschen will, geh ich zum Pastor.«
    »Der bezahlt dich aber nicht dafür.« Ich wedelte mit dem Schein. »Los, steig schon ein. Zehn Minuten. Das ist doch schnell verdientes Geld.«
    Sie blickte sich um. Sie war allein. Sie schien noch halbwegs ansprechbar zu sein, kein völlig abgestumpfter Zombie. Sie steckte die Hand durch das Seitenfenster und zupfte mir den Geldschein aus der Hand. Sie hätte damit weglaufen können, aber sie öffnete die Beifahrertür, stieg, umweht von einer Parfümwolke, ins Auto und sagte: »Reden kostet aber mehr.«
    Ich konnte ihrer Argumentation zwar nicht so ganz folgen, holte aber die zweite gefaltete Banknote aus meiner Brusttasche, klemmte sie zwischen die Finger und legte die Hand aufs Steuer. »Wo arbeitest du?«
    »Also doch ein Bulle.«
    »Hast du dir mal überlegt, dass die Bullen so ungefähr die Einzigen sind, die dir noch Schutz bieten?«
    »Fuck you«, antwortete sie, zog aber trotzdem die Tür zu. »Auf der anderen Seite, aber nicht tagsüber. Am Uferkai, hinter der Brücke.«
    »Wie heißt du?«
    Sie starrte ins Leere, und ich dachte schon, sie würde abdriften. Ihr Rock reichte kaum über ihre mit einem schwarzen Slip bedeckte Scham. Sie zog ihn runter und legte ihre Tasche, die mit einem Riemen um ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher