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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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noch in der Lage, sich dem Zug der Leine stunden-oder tagelang zu widersetzen. Zwei und manchmal drei Männer waren erforderlich, um ein einziges Tier einzuholen. Um große Fische ins Boot zu ziehen, wenn sie in Reichweitekamen, benutzte und benutzt man ein pickelähnliches Werkzeug, das Gaff. Man schlägt es in eine Flanke, Flosse oder gar in ein Auge und hat so einen effektiven, wenn auch blutigen »Griff«. Besonders effektiv scheint es auch zu sein, den Haken des Gaffs unter der Wirbelsäule zu platzieren. Andere – wie die Autoren eines Angelhandbuchs der Vereinten Nationen – empfehlen: »Wenn möglich, am Kopf gaffen.«
    Früher mussten Fischer die Thunfischschwärme mühsam ausfindig machen und hievten dann mit viel Muskeleinsatz einen Fisch nach dem anderen mit Angel und Gaff ins Boot. Der Thunfisch, der heute auf unseren Tellern landet, wird praktisch nie mit einer einfachen Angel gefangen, sondern mit Ringwadennetzen (auch Taschennetze genannt) oder Langleinen. Da ich über die üblichsten Fangtechniken der am häufigsten gegessenen Meerestiere Bescheid wissen wollte, konzentrierte sich meine Recherche auf die modernen Methoden des Thunfischfangs – doch dazu später.
    Im Internet wimmelt es von Filmchen über das Angeln. Schlechter B-Rock untermalt Großtaten von Anglern, die sich aufführen, als hätten sie gerade jemandem das Leben gerettet, nachdem sie einen erschöpften Marlin oder Blauflossenthunfisch an Bord gezogen haben. Es gibt auch Frauen im Bikini beim Gaffen eines Fisches, kleine Kinder beim Gaffen eines Fisches, Anfänger beim Gaffen eines Fisches. Jenseits dieses grotesken Ritualismus sah ich immer wieder die Fische auf den Videos vor mir, in dem Augenblick, als sich das Gaff in der Hand des Anglers auf das Fischauge zubewegte …
    Kein Leser dieses Buches würde es dulden, wenn jemand mit einem Pickel auf das Gesicht eines Hundes losginge. Nichts ist naheliegender oder weniger erklärungsbedürftig. Ist diese moralische Betroffenheit unangebracht, wenn wir sie auf Fische übertragen, oder ist unsere bedingungslose Sorge um Hunde einfach nur albern? Ist es grausam, Tiere langwierigen Todesqualen auszusetzen, oder ist das nur bei manchen Tieren grausam?
    Kann uns die Vertrautheit mit unseren Haustieren nicht als Leitfaden dienen, wenn wir über Tiere nachdenken, die wir essen? Wie weit sind Fische (oder Rinder, Schweine und Hühner) in der Ordnung des Lebens eigentlich von uns entfernt? Trennt uns ein Abgrund, oder sind wir nur zwei verschiedene Äste eines Baums? Sind Nähe und Distanz überhaupt wichtig? Träte uns eines Tages eine stärkere und intelligentere Lebensform als unsere eigene gegenüber und würde uns so sehen, wie wir Fische sehen, was könnten wir dann als Argument anführen, dass man uns nicht isst?
    Jedes Jahr hängen das Leben von Milliarden Tieren und die Stabilität der größten Ökosysteme auf unserem Planeten von den dürftigen Antworten ab, die wir auf diese Fragen geben. Natürlich sind solche globalen Belange sehr abstrakt. Wir kümmern uns am meisten um das, was uns nah ist, und es fällt uns bemerkenswert leicht, alles andere zu vergessen. Zudem leitet uns der starke Impuls, immer zu tun, was andere um uns herumtun, vorallem, wenn es um Essen geht. Die Ethik des Essens ist so komplex, weil Essen mit Geschmacksknospen und Geschmack zu tun hat, mit individuellen Biografien und Gesellschaftsgeschichte. Der so sehr auf Vielfalt bedachte Westen ist Menschen mit anderen Essgewohnheiten gegenüber vermutlich toleranter, als es bisher jede andere Kultur gewesen ist. Ironischerweise gilt aber oft der überhaupt nicht wählerische Allesesser – »Ich bin umkompliziert«, »Ich esse alles« – gesellschaftlich als wesentlich sensibler als jemand, der versucht, sich so zu ernähren, dass es für die Gesellschaft gut ist. Ernährungsentscheidungen hängen von vielen Faktoren ab, Ratio (oder womöglich Bewusstheit) steht dabei normalerweise nicht weit oben auf der Liste.
    Das Essen von Tieren hat etwas Polarisierendes: Iss sie nie oder stelle nie ernsthaft infrage, ob du sie essen sollst; werde Aktivist oder verachte Aktivisten. Diese gegensätzlichen Positionen – und der eng damit zusammenhängende Widerwille, Position zu beziehen – überschneiden sich an dem Punkt, dassTiere essen von Bedeutung ist. Ob und wie wir Tiere essen, berührt etwas Tiefsitzendes. Fleisch ist verbunden mit der Frage, wer wir sind und wer wir sein möchten, vom Buch Genesis bis zum neuesten
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