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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt
Autoren: James Herriot
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Gemisch aus Kreide, Opium und Katechu.
    »Hier, geben Sie ihnen dreimal täglich etwas davon«, sagte ich. Ich bemühte mich, einen unbekümmerten Ton anzuschlagen, aber es klang vermutlich wenig überzeugend. Schon vor hundert Jahren war diese Mischung bei Durchfall verordnet worden, und wenn das Mittel auch bei leichteren Fällen ganz gute Dienste leistete, war es bei der weißen Diarrhöe doch so gut wie wirkungslos; was wir gebraucht hätten, war ein Präparat, das die tückischen Bakterien tötete, die sie verursachten, aber das gab es nicht.
    Doch die Tierärzte taten damals in den dreißiger Jahren etwas anderes, was heute manchmal versäumt wird: Wir kümmerten uns um das Wohlbefinden der Tiere und ließen ihnen die beste Pflege angedeihen. Mr. Clark und ich wickelten jedes Kalb in einen großen Sack ein, aus dem nur noch der Kopf hervorguckte. Dann stopfte ich sämtliche Löcher in dem alten Wagen zu und schichtete hohe Strohballen um die Kälber, damit sie keine Zugluft bekamen.
    Bevor ich wegging warf ich noch einen letzten Blick auf sie; zumindest waren sie jetzt warm und geborgen. Sie würden jede erdenkliche Hilfe brauchen können, wenn sie durchkommen sollten, denn von dem Adstringens versprach ich mir nicht allzuviel.
    Als ich am nächsten Nachmittag wiederkam, war Mr. Clark nirgends zu finden, und so ging ich allein zu dem ausrangierten Eisenbahnwagen und öffnete die Tür.
    Sich zu fragen und sich darum zu sorgen, wie es dem Patienten gehen mag, ist nach meiner Auffassung eine der wichtigsten Obliegenheiten des tierärztlichen Berufs. Die Kälber lagen derart regungslos da, daß ich ein zweites Mal hinsehen mußte, um festzustellen, ob sie überhaupt noch lebten. Absichtlich schlug ich die Tür hinter mir kräftig zu, aber nicht ein Kopf hob sich.
    Als ich durch das tiefe Stroh von einem Kälbchen zum anderen ging, fluchte ich leise vor mich hin. Es sah ganz so aus, als ob sie alle verenden würden. Kaum zu glauben, sagte ich mir, während ich mit dem Fuß im Stroh herumstocherte – nicht nur eins oder zwei, sondern gleich alle: eine Sterblichkeitsziffer von hundert Prozent.
    »Na, Sie blicken ja nicht gerade hoffnungsvoll drein, junger Mann.« Mr. Clark tauchte in der Tür auf.
    Ich wandte mich ihm zu. »Nein, verdammt, das bin ich auch nicht. Es geht ihnen zusehends schlechter, nicht wahr?«
    »Ja, es geht zu Ende mit ihnen. Ich habe Mallock schon angerufen.«
    Der Name des Abdeckers klang wie das Läuten einer Trauerglocke. »Aber noch sind sie ja nicht tot«, sagte ich.
    »Das nicht, aber lange dauert es nicht mehr, und Mallock zahlt ein oder zwei Shilling mehr, wenn er ein Tier lebend kriegen kann. Gibt frischeres Fleisch für die Hunde, sagt er.«
    Ich erwiderte nichts, aber ich muß sehr niedergeschlagen ausgesehen haben, denn Mr. Clark schenkte mir ein freudloses Lächeln und kam zu mir herüber.
    »Es ist nicht Ihre Schuld, junger Mann. Ich kenne diese verdammte weiße Diarrhöe und weiß, daß man im Grunde nichts dagegen tun kann. Sie dürfen es mir umgekehrt aber auch nicht verübeln, wenn ich versuche, wenigstens noch ein bißchen was dabei rauszuholen. Ich muß sehen, den Verlust so niedrig wie möglich zu halten.«
    »Jaja, ich weiß«, sagte ich. »Ich bin halt etwas enttäuscht, daß ich nun das neue Mittel nicht ausprobieren kann.«
    »Was für ein Mittel?«
    Ich holte eine Blechdose aus der Tasche und las das Etikett. »Es heißt in und B 693 oder Sulfapyridin. Hab es heute morgen mit der Post bekommen. Es gehört zu einer völlig neuen Gruppe von Medikamenten, Sulfonamide genannt. Durch sie werden die Bakterien augenblicklich abgetötet, unter anderem auch solche Krankheitserreger, die beispielsweise die weiße Diarrhöe verursachen.«
    Mr. Clark nahm mir die Dose ab und machte den Deckel auf. »Hm, lauter kleine blaue Tabletten. Jeder glaubt, er hat ein Wundermittel gegen diese Krankheit gefunden, aber bisher kenne ich keines. Vermutlich taugt auch das hier wieder nichts.«
    »Das läßt sich im voraus nicht sagen. Aber in unseren Fachzeitschriften ist viel über die Sulfonamide geschrieben worden. Es handelt sich dabei um synthetische, chemische Arzneimittel, mit denen man gerade bei der Bekämpfung von Infektionen große Erfolge erzielt haben soll. Schade, ich hätte sie gern an Ihren Kälbern ausprobiert.«
    Wir hatten das Thema noch nicht zu Ende erörtert, da kam ein hoher Kastenwagen rumpelnd auf den Hof gefahren. Ein munterer, stämmiger Mann sprang aus dem Fahrerhaus
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