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Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Titel: Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Autoren: Roman Rausch
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Giovanna. Komm herunter. Die Bühne kann jederzeit unter dir zusammenbrechen.«
    »Die Bühne«, rief Furtwanger, »die Bühne ist der einzige Platz, an dem ich etwas tauge. Ohne sie bin ich nichts und kann nichts. Wenn ich sie verlasse, bin ich tot. Verstehst du? Hast du vergessen, wie du mich genannt hast? Eine Illusion. Ein Nichts.«
    Kilian befürchtete, dass sie Recht hatte. Er musste etwas unternehmen, bevor es zu spät war.
    »Ich komme jetzt hoch und hole dich runter.«
    Er stieg auf die Balustrade und hangelte nach der schmalen Leiter. Mit den Fingerspitzen konnte er eine Sprosse greifen und zog sie ein Stück zu sich heran. Er hatte sie fest im Griff, war aber beileibe noch längst nicht sicher auf ihr.
    »Du wirst dir wehtun. Lass es lieber. Es ist zu spät«, sagte Furtwanger traurig und beobachtete ihn.
    Doch Kilian gab nicht auf. Er zog die Leiter zu sich her, sodass er seinen Fuß auf sie stellen konnte. Sie schnappte zurück. Er ließ nicht los, wurde mitgerissen und fand sich freischwebend über der Tiefe des Treppenaufgangs. Rund zwanzig Meter trennten ihn vor dem Aufschlag.
    »Ich hab dir doch gesagt, dass du das sein lassen sollst«, schallte es von der Bühne herunter. Furtwanger beobachtete Kilians Versuche, sich an der Leiter hochzuziehen, damit sein Fuß Tritt auf ihr finden konnte.
    Er rutschte vom glatten Metall ab und musste sich erneut hochziehen. Schließlich gelang es ihm mit letzter Kraft.
    »Bravo, caro mio«, lobte Furtwanger ihn. »Du bist stärker, als ich geglaubt habe.«
    »Halt die Klappe«, schrie Kilian, der Stufe um Stufe weiter nach oben stieg, bis er zur Bühne kam. Furtwanger kniete vor ihm und beugte sich vor. Kilian hielt den Holm fest umgriffen und legte erschöpft seinen Kopf auf die Bühne.
    Furtwanger fuhr ihm zärtlich übers Haar.
    »Du bist zu mir gekommen. Es ist schön, dass du den Mut aufgebracht hast. Doch ich fürchte, es ist zu spät. Du bist nur gekommen, um mich einzusperren. Ich kann das nicht zulassen. Das weißt du. Aber das ist jetzt unwichtig, weil es vollbracht ist. Alles, was jetzt noch kommt, ist …«
    »Routine«, sagte Kilian.
    »Du hast es verstanden, du hast mich verstanden. Das ist gut so. Ich tauge nicht dafür. Nur eines ist schade. Wir beide … wir beide zusammen hätten alles erreicht. Verstehst du? Alles!«
    Kilian hob den Kopf und schaute in seine Augen. Nein, in die wunderschönen rehbraunen Augen Giovannas. Er lächelte und streichelte ihr über die Wange.
    »Grazie«, sagte sie.
    Dann schloss sie die Augen und sprang.

19
    Die Sonne stand hoch über dem Galgenberg. In den Grüngürteln der Stadt fanden sich die ersten Besucher mit Fresskörben, Kühlboxen und Campingstühlen ein. Man traf sich zum Gespräch und tauschte die neuesten Informationen aus. Das Gerücht ging um, dass sich in der vorangegangenen Nacht, während der Probe des Orchesters, ein neuer Zwischenfall ereignet hatte, bei dem jemand zu Tode gekommen war. Wer, wie, warum, wusste man nicht. Die Erklärungen reichten von Auftragsmord bis zum tragischen Sturz über ein unsachgemäß verlegtes Stromkabel.
    Unter dem Deckenfresko herrschte bei den eilends herbeigerufenen Fachleuten und Stadtvätern Ratlosigkeit und Unverständnis. Das, was sie sahen, war unfassbar, dekadent, nicht vorstellbar. Es war schlichtweg ein Skandal, den es zu verdecken galt. Die Experten kamen überein, dass in der kurzen Zeit bis zur Eröffnung des Mozartfestes keine Möglichkeit bestand, den Schandfleck zu entfernen. So entschied man sich für das Abhängen mit bemaltem Papier, das farbig zum Umfeld der ursprünglichen Parzelle passte. Das wäre weniger auffällig, und man könnte auf noch andauernde Restaurierungsarbeiten verweisen.
    Die Löwen auf der Ludwigsbrücke waren inzwischen von der Farbe befreit und nahezu in ihren Ursprungszustand zurückversetzt worden. Was ihnen noch fehlte, war das typische Blaugrün der Oxidation. Niemand sollte sich an einen Vorfall erinnern können, den es eigentlich gar nicht gegeben hatte. Eine Presseerklärung hatte verlautbaren lassen, dass ein Pilz, der die Statuen befallen hatte, mit einem rosafarbenen Antipilzanstrich behandelt worden war. Dieser sei mittlerweile wieder entfernt und hätte dem Befall erfolgreich ein Ende gesetzt.
    Oberhammer saß nun entspannt auf der Brücke, genauer gesagt, unter einem Sonnenschirm, den er eigens mitgebracht hatte. Genüsslich trank er ein Weißbier. Vor ihm lagen die Phantomzeichnungen seiner beiden Beamten. Er
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