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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe
Autoren: Henning Mankell
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selbst.
    Die Dämmerung war angebrochen. Sie froren. Plötzlich hörte er Schritte auf dem Pfad. Sara Fredrika tauchte am Weißdorndickicht auf.
    Er fragte sich, ob sie da gewartet hatte, auf dieselbe Weise, wie er selbst gern unsichtbar wartete. Sara Fredrika fuhr zusammen und blieb abrupt stehen.
    »Wer ist sie?«
    Er antwortete nicht. Sein erster Gedanke war, ins Wasser zu flüchten. Das Segelboot konnte er kapern und auf die See hinaus verschwinden oder südwärts, zu einem der deutschen Häfen bei Kiel, wo er Zuflucht finden könnte.
    Sara Fredrika erreichte sie und fragte noch einmal, wer die Frau an seiner Seite war.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete er.
    »Du weißt es nicht?« sagte Kristina Tacker. »Du weißt nicht einmal mehr, wer ich bin? Wer ist sie? Was machst du hier überhaupt? Sagst du nie etwas, was wahr ist?«
    Sara Fredrika packte ihn. »Wer ist sie?«
    Er konnte nicht antworten. Er steckte in der Klemme, er vermißte sein Lot.
    Die beiden Frauen überschütteten ihn mit Fragen, wer war sie, die aus dem Wasser gestiegen war, wer war sie, die ihn am Arm festhielt. Er sagte nichts, die Falle war zugeschnappt, alles würde bald vorüber sein, ohne daß er sich vorstellen konnte, wie es ausgehen würde.
    Es waren Sara Fredrika und Kristina Tacker, die redeten. Aber er war es, den sie betrachteten, mit einem wachsenden Wahnsinn bei Kristina Tacker und Verzweiflung bei Sara Fredrika. Irgendwoher kam die Katze, sie schien die Kraftprobe zu ahnen und hielt sich abwartend auf Distanz. Er versuchte noch einmal, einen Ausweg zu finden, irgendwo in der Konstellation eine Schwäche auszumachen. Aber ihn überkam nur eine unendliche Erschöpfung und die Lust aufzugeben.
    Irgendwo in den Klippen war auch das Gesicht seines Vaters, seine Augen würden sich bald aus dem Fels freisprengen.
    Die steinernen Hände begannen sich über seinem
    übrig. »Sie heißt Kristina. Sie ist meine Frau. Ich bin mit ihr verheiratet.«
    »Du hast doch gesagt, deine Frau ist tot. Und dein Kind.«
    Kristina Tacker tat einen Schritt nach vorn. »Hat er gesagt, ich sei tot?«
    »Wer bist du?«
    »Ich bin seine Frau.«
    »Das kann nicht sein. Seine Frau ist einen Abhang hinuntergestürzt und hat im Fallen das Kind mit sich gezogen.«
    »Da hat er dich angelogen, wer du auch bist. Ich lebe und bin mit ihm verheiratet. Und ich bin niemals einen Abhang hinuntergestürzt.«
    Kristina Tacker stieß einen Schrei aus und begann den Pfad entlangzulaufen. Sie verschwand außer Sichtweite, ihr Gebrüll hallte zwischen den Klippen wider.
    »Wer ist sie?« fragte Sara Fredrika noch einmal.
    »Sie sagt die Wahrheit. Ich bin mit ihr verheiratet, ich habe es noch nicht geschafft, die Scheidung zu beantragen.«
    »Aber du hast doch gesagt, sie sei zusammen mit deiner Tochter einen Abhang hinuntergestürzt.«
    »Das war meine erste Frau. Ich habe nicht alles aus meinem Leben erzählt. Ich arbeite an geheimen Aufträgen, das steckt an, ich bin mir schließlich selbst ein Rätsel.«
    Sie trat ein paar Schritte zurück, er sah, daß sie Angst hatte. »Was macht sie hier?«
    »Ich weiß nicht. Sie ist mit dem Segelboot gekommen.«
    Kristina Tacker kehrte zurück. Er versuchte, sie zu packen, um sie zu beruhigen, aber sie schlug seine Hände weg.
    »Du rührst mich nicht an, nie mehr.«
    »Aber ich bin schließlich mit ihm verheiratet. Hörst du nicht, was ich sage?«
    »Er ist nicht verheiratet. Er ist hier bei mir, und er wird mich in ein anderes Land mitnehmen. Ich will, daß du von hier verschwindest.«
    Noch eine Stimme mischte sich ein, sie kam von weither, ein Kind, das weinte. In der Stille war es sehr deutlich zu hören. Kristina Tacker sah sich unruhig um, ehe sie verstand, was es war. Sie begann zu zittern und fiel zu Boden.
    »Das ist mein Kind«, sagte Sara Fredrika. »Es ist meine Tochter. Sie heißt Laura.«
    Kristina Tacker wimmerte und kroch weg, versuchte, sich in das Weißdorndickicht zu drängen.
    »Ist sie verrückt? Sie wird sich an den Dornen stechen.«
    »Sie ist krank«, erwiderte er. »Sie ist sehr krank, sie braucht Hilfe.«
    Er versuchte, sie an sich zu ziehen, aber sie wehrte ihn mit gewaltiger Kraft ab. »Du rührst mich nicht an. Ich weiß nicht, was hier geschieht, ich höre Sachen, die zu glauben ich mich weigere. Du rührst mich nicht an und du rührst sie nicht an.«
    Sara Fredrika hockte sich neben Kristina Tacker, die an dem Dornengestrüpp zog und zerrte.
    Lars Tobiasson-Svartman betrachtete seine Frau. Sie war wie
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