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Thomas' Entscheidung (Scanguards Vampire - Buch 8)

Thomas' Entscheidung (Scanguards Vampire - Buch 8)

Titel: Thomas' Entscheidung (Scanguards Vampire - Buch 8)
Autoren: Tina Folsom
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sich ihnen dann anschließen und der dunklen Macht, die in ihm schlummerte, erliegen? Oder hatte er genug Kraft übrig, um sie zu bekämpfen?
     
    London, England, Frühling 1895
    Thomas saß in der Galerie von Old Bailey, dem Strafgericht von London, und beobachtete sorgsam das Verfahren, das sich unter ihm abspielte. Er war fast jeden Tag hier, um die Verhandlung zu verfolgen, nicht aus morbider Neugier wie die meisten anderen Zuschauer, sondern weil ihm nahelag, wie das Urteil ausfallen würde. Selbst wenn er den Angeklagten Oscar Wilde nicht persönlich kannte, bedeutete Thomas dessen Zwangslage viel.
    Oscar Wilde, der berühmte Dramatiker war homosexuell und wegen grober Unanständigkeit angeklagt, und was mit einem Mann seiner Berühmtheit geschah, würde einen bleibenden Einfluss auf die homosexuelle Gesellschaft von London haben. Eine Gesellschaft, der Thomas angehörte, ob er wollte oder nicht.
    Thomas hatte immer gewusst, dass er anders war, doch die Bestätigung erhielt er während seines ersten Jahres in Oxford: Er liebte Männer, nicht Frauen. Zuerst hatte er versucht, es zu leugnen, doch jegliche Anstrengung, sich selbst zu belügen, war gescheitert. Er war, was er war: ein Homosexueller. Ein Warmer, ein Schwuler, ein Homo. Kein richtiger Mann, sondern einer, der sich und andere Männer degradierte, indem er Unzucht betrieb.
    Doch das war nichts, das er einfach abschalten konnte. Seine Erfahrungen mit einem jungen Mann in Oxford hatten ihm die Augen zu den Freuden der körperlichen Liebe geöffnet und ihm fleischliche Genüsse nahegebracht. Und als er erst einmal von dieser verbotenen Frucht gekostet hatte, konnte er nicht mehr leugnen, was er begehrte: die Liebe eines Mannes, egal wie verboten sie war.
    Er versteckte seine Neigung so gut er konnte, zog sich nie so extravagant an wie andere Schwule und nahm immer an den männlichsten Sport- und Unterhaltungsprogrammen teil, um seinen unnatürlichen Trieb zu kompensieren. Er hofierte sogar Frauen der aristokratischen Kreise Englands und war einer der begehrtesten Junggesellen, nicht nur wegen seiner Herkunft und seiner Beziehungen in der Gesellschaft, sondern auch aufgrund seines Witzes und Charmes, mit dem er bedenkenlos jede unschuldige Debütantin umschwärmte. Sie himmelten ihn nur so an. Wenn sie wüssten, dass ihr kokettes Lächeln, ihre geröteten Wangen und schnell wedelnden Fächer ihn genauso kalt ließen wie ein morgendliches Bad in einem eisbedeckten Bach im Winter.
    Unter all der Täuschung fand er Zeit, sich mit Männern zu treffen, die dieselben Bedürfnisse wie er hatten, und seinen fleischlichen Begierden freien Lauf zu lassen. In jenen Stunden fühlte er sich am friedlichsten und gleichzeitig geriet er mit sich selbst am meisten in Konflikt. Gefühle von Schuld und Scham waren nie weit entfernt, doch wenn er mit einem Mann Liebe machte, wusste er, dass alles Leugnen seines Selbst sinnlos war. Er hatte keine andere Wahl und musste so weitermachen.
    „Möge der Angeklagte sich erheben“, ertönte eine Stimme aus dem Gerichtssaal von unten.
    Thomas beugte sich nach vorne, begierig darauf, das Urteil des Gerichts zu hören. Andere taten es ihm gleich und warteten mit angehaltenem Atem auf die Entscheidung des Richters. Diese kam wie ein Hammer auf einen Amboss, genauso laut und niederschmetternd. Wilde war nicht der Unzucht angeklagt gewesen, doch hätte das genauso gut der Fall sein können.
    „Oscar Wilde, Sie sind schuldig befunden worden in fünfundzwanzig Fällen grober Unanständigkeit oder der Absicht, grobe Unanständigkeit zu begehen.“
    Ein Aufschrei ging durch die Menge. Stimmen von unten und von der Galerie hallten gegen die Wände des Gerichtssaals und wurden dadurch verstärkt. Obwohl der Richter für Ordnung im Gerichtssaal appellierte, verstummten die Aufschreie nicht.
    „Schande!“, rief ein junger Mann neben Thomas aus, doch hinter ihm stimmten andere dem Urteil zu.
    „Geschieht dem Kerl recht!“, verkündete ein Mann und schob den jungen Mann zur Seite. „Du bist auch so einer, oder?“
    Thomas versuchte aufzustehen, da stieß der junge Mann plötzlich gegen ihn. Als er die Schultern des Mannes ergriff, um nicht zu fallen, blickte dieser ihn mit erschrockenen Augen an. Für einen Moment war Thomas bewegungsunfähig. Das würde ihnen allen passieren: Leute würden sie als Homosexuelle beschimpfen. Sowohl er als auch der junge Mann, der ihn anblickte, wusste das.
    „Ja, ihr beide!“, fuhr der Mann hinter ihm mit
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