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The Weepers - Und sie werden dich finden: Roman (German Edition)

The Weepers - Und sie werden dich finden: Roman (German Edition)

Titel: The Weepers - Und sie werden dich finden: Roman (German Edition)
Autoren: Susanne Winnacker
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Schal. Bobby trat wie ein Irrer in die Pedale. Beide bemühten sich, Mom nach Möglichkeit zu ignorieren. War ich denn die Einzige in diesem Bunker, die sich einigermaßen erwachsen aufführte? Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und verzog das Gesicht, wenn meine Finger an Knoten hängenblieben. Mein Haar war stumpf. Shampoo und Spülung waren uns vor vierzehn Monaten ausgegangen. Der Seifenvorrat hatte immerhin noch bis vor drei Wochen gereicht. Mehr als eine kurze Du sche jeden dritten Tag erlaubte uns unser Wasservorrat sowieso nicht. Manchmal wurden der Schweißgestank und Bobbys Fußgeruch unerträglich, aber es gab kein Entkommen.
    Ich nahm eine Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete sie. Früher hatte mein rotes Haar richtig geglänzt.
    Vor 1 139 Tagen hatte ich aufgehört, mir über solche Dinge Gedanken zu machen.
    Ich ließ die Strähne los und hob die Konservendose mit dem Corned Beef auf. Mehr war nicht übrig. Natürlich würden davon keine sechs Leute satt – nicht mal drei. Wahrscheinlich hätte es nicht mal gereicht, um meinen Magen zu füllen.
    Ich nahm den Topf aus dem Regal, füllte ihn mit Wasser, schaltete die kleine Kochplatte an und stellte ihn darauf. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis das Wasser kochte. Ich öffnete die Dose und gab das Fleisch hinein.
    »Was machst du da?«, fragte Dad und spähte in den Topf.
    Ich rührte mit einem Holzlöffel in der Brühe und sah zu ihm auf. »Suppe.«
    Seine Augen glänzten . Er verstand. »Du bist ganz schön clever, Sherry.« Er streichelte meine Wange und lächelte mich an. Manchmal behandelte er mich immer noch wie ein kleines Mädchen, als wüsste er nicht, dass ich längst alle Pflichten eines Erwachsenen übernommen hatte – vielleicht wollte er es auch einfach nicht wahrhaben. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der Vorhang zurückgezogen wurde. Mom trat aus der Vorratskammer. Sie hatte die Tränen abgewischt und kam mit einem verlegenen Lächeln auf Dad und mich zu.
    »Ich decke den Tisch«, verkündete sie und holte Suppenschüsseln und Löffel. Dad zögerte kurz, dann half er ihr. Ich sah weg, als er den Arm um ihre Taille legte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. In diesem Bunker war Privatsphäre Mangelware.
    Ich starrte in den Topf mit der rotbraunen Brühe. Sie hatte die Farbe von Hundefutter.
    Vor 1 139 Tagen hätte ich mich geweigert, so etwas zu essen. Das war eine Ewigkeit her.
    Jetzt konnte ich es kaum noch erwarten.
    Alle setzten sich um den Tisch, sogar Grandma. Der Essensgeruch – egal, wie eklig das Essen auch war – zog sie an wie das Licht eine Motte. Essen war das Einzige, das sie vom Stricken abhalten konnte. In den Monaten, bevor Grandpa den Kampf gegen den Krebs endgültig verloren hatte, war ihre Strickerei geradezu zwanghaft geworden. Es war wohl so eine Art Beschäftigungstherapie für sie. Seit seinem Tod hatte sie fast nicht mehr damit aufgehört.
    Das Klicken der Stricknadeln beruhigte Grandma, den Rest der Familie dagegen trieb es langsam aber sicher in den Wahnsinn. Das Klick-Klick war wie ein Countdown. Unsere Zeit lief ab.
    Klick. Klick.
    Ich nahm den Topf vom Herd und stellte ihn auf den Tisch. Ein Schöpflöffel für jeden. Nicht gerade viel.
    Dad öffnete den Mund – wahrscheinlich wollte er gerade protestieren –, als ich seine Suppenschüssel füllte, aber ich beachtete ihn nicht weiter. Stumm aßen wir das Wenige, das uns noch geblieben war.
    Erst wollte Dad seinen Löffel gar nicht in die Hand nehmen. Ich sah auf und warf ihm einen flehentlichen Blick zu. Hör auf, dich für uns aufzuopfern. Er ließ den Kopf hängen und starrte in die Suppe. Schließlich fing er mit schuldbewusster Miene an zu essen.
    Nach weniger als zwei Minuten waren wir fertig. Mia war die Letzte. Sie legte den Löffel weg und sah ihren Teller mit so sehnsuchtsvollen Augen an, dass ich wünschte, ich hätte ihr meinen Anteil überlassen.
    In den nächsten Minuten sagte niemand etwas. Es war nicht jene Art von Stille, die sich wie eine warme Decke über alles legt. Diese Stille war erdrückend.
    Gierige Augen starrten in leere Teller, hoffnungslose Blicke streiften die leere Vorratskammer.
    Seit 1 139 Tagen hatte ich kein Tageslicht mehr ge sehen.
    Seit 2 Minuten hatten wir nichts mehr zu essen.

In der Küche roch es nach Lebkuchen und Äpfeln. Grandma formte den Vanillekipferlteig zu kleinen Halbmonden.
    Perfekt.
    Ich tauchte den Finger in die Käsesahnecreme und leckte ihn ab. Der süße Geschmack
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