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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
Autoren: Shane O'Doherty
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Großbritannien vor einer Invasion von Hitlers Horden gerettet worden war. Tuckers Antwort war, dass die Invasion der britischen Horden auch nicht gerade ein Segen für Nordirland gewesen war ... Derek führte dann gern an, welche Vorteile die durch die Briten garantierten Dinge wie das Gesundheitswesen und das Sozialversicherungssystem im Vergleich zu der ärmeren Republik Irland böten, und in dieser Manier ging die Debatte dann weiter, aber auf absolut freundliche Art. Während der ersten zehn Jahre meines Lebens stufte ich meine Spielkameraden auf der Straße nach ihrem Charakter oder ihrer Persönlichkeit ein, aber nicht nach Religion oder Politik.
    Als ich zu lesen begann und mehr über die Welt um mich herum lernte, verspürte ich in mir ein bisschen das erhebende Gefühl, dass wir katholischen Iren ein leidenschaftliches Anliegen hätten, die Sehnsucht, Irland vereinigt und die britische Besatzungsmacht und die Grenze für immer verschwunden zu sehen. Aber das war nichts weiter als eine kindliche Leidenschaft. Am 12. Juli, dem Tag der großen Jahresfeier der Protestanten und des königstreuen Oranier-Ordens, als die Nachkommen der protestantischen Kolonialisten ihren Sieg über die geschlagenen alteingesessenen Katholiken buchstäblich als Parade inszenierten, nahmen meine Brüder mich in den frühen sechziger Jahren ein- oder zweimal zum unteren Ende der Clarendon Street mit, um den Marschierern mit ihren Flaggen und Fähnchen zuzusehen. Aus meiner Kindersicht war es nichts weiter als ein Fest im Sommersonnenschein. Ich weiß noch, dass mein Vater zu meinen Brüdern sagte: „Geht da doch nicht hin!“ Das sollte bedeuten, dass es für Katholiken dort zu unsicher sei oder sie aus Stolz und aus Prinzip der Parade fernbleiben sollten. Meine Brüder sahen es vielleicht entweder als Zeichen besonderer Abgebrühtheit an, zeitweilig bei einer Oranier-Parade dabei zu sein, oder aber so, dass niemand sie in ihrem eigenen Revier daran hindern konnte, das Haus zu verlassen – ich weiß es nicht. Was ich aber noch weiß, ist, dass sie mich gut sichtbar präsentierten, während sie dort waren.
    Aber das allererste Mal, dass ich tatsächlich Angst empfand, weil ich katholisch war, war im Alter von acht oder neun Jahren, als alle von der Neuigkeit redeten, dass ein protestantischer Aufwiegler namens Ian Paisley nach Derry kommen wollte. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie ich auf der Straße mit Raymond spielte und zu ihm sagte: „Die werden uns angreifen – wir werden noch aus unseren Häusern hinausgeräuchert!“ Paisley war in meiner kindlichen Vorstellung das erste Ungeheuer, das außerhalb der Märchenwelt auftrat, und ich brachte ihn immer mit meiner kindlichen Furcht in Verbindung.
    Ich hatte von der IRA gehört, aber da war etwas, was ich nicht richtig verstehen konnte – ich konnte nie begreifen, wie irgendjemand in die IRA eintreten konnte, wenn es eine vollkommen geheime Organisation war! Wie stellte man es an, sie zu finden, wenn alle ihre Mitglieder geheim blieben? Daran rätselte ich sehr lange herum und hatte es immer noch nicht herausgefunden, als ich 1970 mit fünfzehn Jahren das erste Mal überlegte, in die IRA einzutreten. Gab es jemanden in der IRA, der nach potenziellen Neulingen Ausschau hielt, und welche Zeichen sollte man dann von sich geben, um das Interesse desjenigen auf sich zu lenken? Man könnte ja das ganze Leben lang in größter Aufrichtigkeit Zeichen aussenden und dabei völlig unentdeckt bleiben! Das war das Rätsel meiner Kindheit, welches jahrelang meinen Verstand verwirrte.
    Mein persönliches Interesse an der IRA lag ursprünglich nicht in der Beobachtung oder Erfahrung bestimmter sozialer Ungerechtigkeiten, obwohl diese, als ich schließlich Mitglied wurde, mir die vordringlichste Motivation gaben. Nein, es war die Entdeckung der Tragödien der irischen Geschichte, die zuerst in mir den Wunsch auslöste, mich der IRA zu widmen, und den größten Teil jener Geschichte sog ich ganz allein zuhause mit dem Lesen von Büchern ein, die ich im Familienbesitz vorfand. Es war die pure politische Ungerechtigkeit und Tragik der britischen Herrschaft in Irland gegen den Wunsch des irischen Volkes, die meinen Zorn beflügelte, und natürlich auch die Große Hungersnot und die Massenauswanderung.
    Was mich an der irischen Geschichte leidenschaftlich bewegte, begann mit Ostermontag, dem 24. April 1916, als Patrick Pearse um 23.45 Uhr die folgende Erklärung vor einer neugierigen
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