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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
Autoren: Shane O'Doherty
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Zerstörung bewahrt wird. Wer Gespräche und Friedensverhandlungen ablehnt, impliziert damit, dass die Gewalt des Siegers mit vollständiger Kapitulation der Unterlegenen den alleinigen Weg zum Frieden darstellt. Wir haben ja die Folgen jahrzehntelangen Terrors auf allen Seiten und ebenso die Folgen des vergeblichen Versuchs gesehen, mit einer politischen Greisenherrschaft eine Lösung zu erzielen. Jedes einzelne Menschenleben ist heilig, und das Bestreben, es zu schützen, sollte jedes Argument gegen Gespräche mit paramilitärischen Organisationen aufwiegen. Ich jedenfalls bin überzeugt, dass Verhandlungen mit denen, die den Krieg tatsächlich austragen, den Frieden erst ermöglichen. Der Weg in die Zukunft ist entweder mit Mut zum Gespräch oder aber mit Kugeln, Bomben und Leichen gepflastert. Ich ziehe Gespräche vor.
     

NACHWORT
    Während meiner Haftzeit suchte ich dauernd nach der Erkenntnis dessen, was richtig – und wie zu erwarten – auch nach dem, was falsch war. Ich las, reflektierte, betete und fand auch den Mut, ohne die trügerische Unterstützung anderer in meiner Lage oder einer von anderen übernommenen Ideologie meine Taten in der Vergangenheit ehrlich zu betrachten. Ich übernahm die alleinige Verantwortung für das, was ich im Namen der Freiheit Irlands getan hatte, und dachte selbstkritisch über die Handlungen nach, die ich ganz allein begangenen hatte.
    Egal, ob ich nun die grundlegendsten Voraussetzungen für das Respektieren der Menschenrechte jedes einzelnen oder die Lehre der Evangelien als Maßstab anlegte, ich konnte Gewaltanwendung zu politischen Zwecken und rational begründetes Verletzen und Töten von Mitmenschen absolut nicht rechtfertigen. Die Erkenntnis, dass ich jemand war, der Menschenrechte verletzt hatte, belastete mich zutiefst.
    Eins wurde mir jetzt glasklar: Wenn „Freiheitskämpfer“ bei ihrer Mission keinen uneingeschränkten Respekt vor Menschenrechten und Menschenleben empfinden, wie sollte man denn jemals darauf vertrauen, dass sie diese respektierten, wenn sie erst einmal an die Macht gelangt wären? Wieso sollte denn die Bereitschaft, Menschen zu verletzen oder zu töten, sich plötzlich wandeln, sobald man die politische Macht errungen hatte?
    Wir waren überstürzt in den Krieg gezogen und hatten demokratische und politische Mittel nie erwogen oder ausprobiert. Vielmehr hatten wir uns gleich zu Beginn unseres Kampfes geweigert, die Parlamente Nordirlands und der Republik Irland anzuerkennen, und dadurch die irisch-republikanische Sache in eine Sackgasse getrieben, aus der es etwa zwanzig Jahre später nur noch einen Ausweg gab, nämlich eine 360-Grad-Wende unserer Überzeugungen. Wir hatten ohne den geringsten Versuch, politische, demokratische, friedliche Mittel jemals im Freiheitskampf zu nutzen, den Krieg erklärt, und als Folge davon mussten viele Menschen unnötig sterben.
    Ich mit meinem katholischen und kulturellen Hintergrund sah mich durch die Person Jesu in den Evangelien völlig überführt. In der „Paenitemini“-Anordnung von Papst Paul VI. hatte ich etwas über Bekehrung und Reue gelesen. Es lief darauf hinaus, das böse Taten – oder Sünden, falls ich im dritten Millennium dieses Wort überhaupt noch benutzen darf – drei Folgen hatten: sie zerstörten das Verhältnis des Täters zu der Gemeinschaft, das Verhältnis des Täters zu sich selbst und sein Verhältnis zu Gott.
    Die Schädigung meines Verhältnisses zur Gemeinschaft war im Gefängnis in völliger Isolationshaft klar ersichtlich; mein Gewissen wurde von Kummer über meine eigenen Menschenrechtsverletzungen zerfressen; und ich empfand auch, dass ich mich von Gott entfremdet hatte.
    Der einzige Ausweg war, dass ich zuerst sowohl privat als auch öffentlich eingestehen musste, dass ich Unrecht begangen hatte. Das allein erforderte schon viel Mut und Zähigkeit, denn für viele meiner Freunde, die sich nach wie vor im bewaffneten Kampf engagierten und nicht so wie ich kritisch reflektiert hatten, musste es schmerzhaft sein. Aber was noch wichtiger war, ich musste die Existenz meiner Opfer akzeptieren und mich irgendwie – und sei es auch nur symbolisch – darum bemühen, sie auf das Böse, das ich ihnen angetan hatte, anzusprechen. Ich beschloss, in meiner Lokalzeitung in Derry über meine Ansichten zu schreiben, und tat das dann auch wirklich. Zudem kämpfte ich um die Berechtigung, meinen Opfern Entschuldigungsbriefe zu schreiben. Auch das setzte ich anschließend in die Tat um.
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